Älteres
♦ 665 ♦ 664 663 662 661 660 659 658 657 656 655 654 653 652 651 650 649 648 647 646 645 644 643 
665  650  600  550  500  450  400  350  300  250  200  150  100  50  1  
09.11.2025
1 Kommentar

Druckversion


Der Fotograf der drei rechts abgebildeten Fotos, Hans Lange, überlieferte in seiner "Chronik von Senftenberg" (Band 4) für die mittlere Aufnahme ein Entstehungsdatum. März 1972. Das dieses Datum auch für die anderen beiden Aufnahmen gilt, die ihrerseits keine Verwendung in dem Chronik-Werk fanden, gilt, liegt auf der Hand.
Die Schaufenster-Beschriftung Begonien eingetroffen an der auf allen drei Fotos enthaltenen Kleinen Markthalle im Herzen der Stadt lässt keinen Zweifel daran aufkommen.
Anders als bei irgendwelchen Propaganda-Schriftzügen wechselten je nach Angebot die Schriftzüge an der Verkaufseinrichtung relativ schnell. Kurze Zeit später sah das nämlich so aus:

Senftenberg
Aufnahme = 1972
Sammlung Familie Wendt
Senftenberg
Aufnahme = 1972
Sammlung Familie Wendt
Senftenberg
Aufnahme = 03.1972
Sammlung Uwe Jähnert
Senftenberg
Aufnahme = 03.1972
Sammlung Uwe Jähnert
Senftenberg
Aufnahme = 03.1972
Sammlung Uwe Jähnert
Allen fünf Fotografien ist gemein, daß wir hierauf eine Situation sehen, die wenige Monate später in dieser Form für immer von der Bildfläche verschwand. Im Sommer des Jahres 1972 wurde nicht nur der kleine Verkaufsladen, der ursprünglich im Jahre 1937 als "Städtisches Verkehrsamt" errichtet wurde, dem Erdboden gleichgemacht. Auch einige der Bauten an der Ecke Ernst-Thälmann-Straße/
Rudolf-Breitscheid-Straße mussten einem verkehrstechnischen Großprojekt weichen. Das betraf die großen Scheunen entlang der Breitscheid-Straße sowie die damaligen Häuser Ernst-Thälmann-Straße 35 (Skoring) und 37 (Vorderhaus des "Passage"-Kinos).
Norbert Jurk veröffentlichte in seinem 2012er - dem roten - Buch einige Aufnahmen vom Kaliber des folgenden Fotos, bei denen der Abriß der Häuser in vollem Gange zu bewundern ist. Inklusive der "Fledderei" durch die Senftenberger Bevölkerung, die mit ihrem "Klau-Fix" anrollte und alles was noch irgendwie brauchbar war, aus den Ruinen barg. Naja, das war damals hier halt so.

Erste Spuren des Rückbaus kann man auch schon auf zwei der von mir hier vorgestellten Fotos erkennen. Das Dach eines Hauses, das zum Passage-Kino gehörte, war zu diesem Zeitpunkt bereits geordnet abgedeckt worden. Nicht zuletzt aufgrund dieses Bildbeweises hege ich keine Zweifel am kolportierten 1972. Die anderen drei Aufnahmen weiter oben müssen damit zwangsläufig vorher gemacht worden sein. Bemerkenswert finde ich - wenn wir davon ausgehen, daß die fünf Fotos im März/April 1972 gemacht wurden - daß man sprichwörtlich "bis auf den letzten Drücker" die Abriß-Kandidaten ganz normal nutzte. Der Verkauf im Laden lief genauso wie das Programm im Passage-Kino. Selbst die Fensterbretter bei Skorings (Bild Nr.5) wurden noch mal feucht abgewischt.


Wer jedoch glaubt, daß das Ansinnen, die Thälmann-Straße auf kürzestem Wege mit der Bahnhofstraße zu verbinden, eine Idee der 1970er war, den kann ich eines Besseren belehren. Entsprechende Gedanken wurden schon mindestens 30 Jahre zuvor gesponnen. Dabei waren die Eingriffe in die bestehende Bausubstanz nicht auf die paar Häuser beschränkt, die dem Projekt anno 1972 zum Opfer fielen. Laut der nachfolgenden Planzeichnung des damaligen Stadtbauamtsleiters Helmut Busse wären die Veränderungen massiv ausgefallen. So massiv, daß ich einige Minuten brauchte, um mich auf der Zeichnung überhaupt zurecht zu finden und die Skizze irgendwie mit den tatsächlichen Gegebenheiten in Deckung zu bringen.

So wie ich den Entwurf interpretiere, wäre die Einbindung in die Bahnhofstraße nicht (wie heute) über die Westpromenade sondern über das Bett der Wolschinka und danach die Annastraße (heute Reyersbachstraße) erfolgt. Die Häuser von Skoring und Petsch ("Passage"-Kino) wären dabei ebenso wie das Städtische Verkehrsamt im Wege gewesen. Das Feurwehrdepot wäre zugunsten eines zentralen Parkplatzes abgeräumt worden. An dessen Westseite sollte ein repräsentatives Gebäude (Zweck unbekannt) entstehen und an seiner Nordseite wohl so ein Zwischending aus Wandelhalle und Buswartehäuschen. Und da das alles noch nicht genug war, wollte Busse gleich noch den Jüttendorfer Anger beidseitig auf links drehen. Der Stadtbaurat aus der Provinz hatte wohl in Hitlers Haus- und Hofarchitekten Albert Speer ein Vorbild gefunden und versuchte in kleinerem Maßstab dessen "Welthaupstadt Germania" - Entwurf abzukupfern. Säulengänge entlang der Kaiser-Friedrich-Straße und sogar bis in die Kreuzstraße hinein. Mein lieber Scholli! Da ist aber der Kelch noch einmal an Senftenberg vorbei gegangen.


Umbaugelüste hatten aber auch nachfolgende Generationen von Stadtplanern. Ein Entwurf aus dem Juli 1979 (VEB Hauptauftraggeber Komplexer Wohnungsbau des Bezirkes Cottbus) offenbart nur 5 Jahre nach Finalisierung der Straßenbaumaßnahme unter anderem den Drang nach einer großflächigen Umgestaltung des Quartiers nördlich der Ernst-Thälmann-Straße. Geplant waren zwei Schulen (1 x EOS, 1 x POS, blau markiert). Davon wurde nur die POS an einem leicht versetzten Standort (dort wo der Sportplatz eingezeichnet ist) realisiert. Die Sporthalle (hellgrün) wurde ebenfalls - jedoch ein ganzes Stück weiter südlich - aus dem Boden gestampft. Das rot umrandete Gebilde symbolisiert eine sogenannte "Wohngebietsgaststätte". Dafür hätte das alte Feuerwehrdepot geschliffen werden müssen. Nördlich davon - hier als "Markthalle" bezeichnet und mittelgrün markiert - das kennen viele noch als "Vitaminquelle". An der Ecke Ernst-Thälmann-Straße/August-Bebel-Straße (fuchsia markiert): hier sollten diverse Wohnhäuser einer Kaufhalle Platz machen. An der Südflanke der Ernst-Thälmann-Straße wäre dem Plan nach nahezu die gesamte historische Bebauung zwei Neubaublöcken mit insgesamt 70 Wohneinheiten zum Opfer gefallen. Der dunkelrot markierte Neubaublock am unteren Rand des Planes wurde so ähnlich tatsächlich gebaut. Und wieder abgerissen.

Das meiste aus dieser Planung ist uns also erspart geblieben. Manches wurde zwar in der einen oder anderen Form umgesetzt, ist aber mittlerweile schon längst wieder dem Erdboden gleich gemacht worden. Mit anderen Auswüchsen der sozialistischen Stadtplanung müssen wir leider immer noch auskommen. Zum Beispiel mit den 5 Würfeln, die noch kurz vor der Wende rechts und links der Briesker Straße in die Gegend geklotzt wurden und seit jeher von "problembehaftetem" Klientel bewohnt wird. Die 1979er Planung für dieses Areal war übrigens auch ziemlich spektakulär. Hier sollte ein "Haus der Braunkohle" entstehen. Die Briesker Straße wäre stadteinwärts zu einer Sackgasse umgestaltet worden. Im Prinzip wäre in Senftenberg kaum ein Stein auf dem anderen geblieben.