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Älteres


Aufnahme <= 1921
Sammlung Familie Forberger
Senftenberg
Senftenberger Anzeiger (April 1920)
Als Walter Lehmann Ende April 1920 die Einwohnerschaft der Stadt via Senftenberger Anzeiger darüber informierte, daß er in der Kreuzstrasse 4 ein Geschäft für Gold- und Silberwaren, jedoch hauptsächlich für den Verkauf und die Reparatur von Uhren aller Art eröffnet hatte, platzte er nicht unbedingt in ein Vakuum auf diesem Geschäftsfeld.
In Senftenberg hatten zu diesem Zeitpunkt bereits mindestens 4 Konkurrenten den Juwelen- und Uhrenmarkt unter sich aufgeteilt. Die Läden von Spiro, Stiertzel, Sobe und Schmidt lagen alle nur wenige Schritte vom neu gegründeten Unternehmen Lehmanns entfernt.
Und diese "4 mal S" - Phalanx versuchte Walter Lehmann gemeinsam mit seiner Ehefrau Clara zu durchbrechen und war dabei durchaus erfolgreich. Offenbar gab es einen ständigen Bedarf an neuem Schmuck und Zeitmessern, wenigstens aber an Instandsetzung defekter Stücke.
Steht man heutzutage vor der Adresse Kreuzstraße 4 oder beehrt gar die aktuellen Inhaber des dort wieder beheimateten Uhren- und Schmuckfachgeschäfts mit einem Besuch im Innern, wird man feststellen, daß der Laden nun wahrlich keine üppigen Abmessungen hat.
1920 jedoch, nachdem man das vormalig reine Wohnhaus (eine entsprechende Ansicht stellte ich hier unlängst vor) im Parterre einem Umbau unterzogen hatte, war dieser Laden nochmals anderthalb Meter schmaler!
Einen guten Eindruck von den beengten Verhältnissen bekommt man mit Hilfe der ganz oben rechts abgebildeten Karte. Ich verwende bewußt nicht den Begriff Ansichtskarte, denn, obwohl in den klassischen Ansichtskartenabmessungen und der festen Qualität jener Zeit, war das Stück nicht für den Postversand vorgesehen. Es handelt sich vielmehr um eine Reklamekarte, möglicherweise sogar um so etwas wie einen "Abholschein" für bei Lehmann in Reparatur gegebene Uhren oder Schmuck. Wenn dem so wäre, dann kann man nur sagen: "Der Mann hatte Stil!"
Doch zurück zu den drei darauf enthaltenen Abbildungen. In der Mitte sehen wir eine Außenansicht des Ladens und im Vergleich zu späteren Zeiten ist festzuhalten, daß die heutige Ladeneingangstür damals nicht dazu gehörte, sondern rechts vom Geschäft die ganz normale Haustür der Kreuzstraße 4 darstellte.
Dieser Zustand herrschte auch noch 1928 wenn man der Jahreszahl traut, die zur rechts abgebildeten Ansicht mitgeliefert wurde.
Während der Fassade zwischenzeitlich eine neue Firmenaufschrift spendiert worden war, hatte sich an den Dimensionen des Ladengeschäfts nichts getan. Das Ladeninnere kann keine 4 Meter breit gewesen sein, was man auch gut an den beiden Innenansichten auf der Reklamekarte ganz oben nachvollziehen kann. Die ausladenden Regulatoren und Standuhren in der Ausstellung taten ihr übriges um Personal und Kundschaft zu erdrücken.
Die Personen, die man auf den beiden Teilansichten entdecken kann, sind Walter und Clara Lehmann. Letztere posiert auch auf dem Foto rechts in der Ladentür.
Übrigens: betrachtet man sich die Reklamekarte in der Vergrößerung kann man feststellen, daß die Auslagen im Schaufenster größtenteils künstlich hinzugefügt wurden. Ich habe den Eindruck, daß man mittels Papierschnipseln Uhren und dergleichen nachempfand. In Normalgröße fällt diese plumpe Manipulation nicht einmal auf. Warum man auf derartige Tricks verfiel kann ich nicht erklären. Immerhin sieht man auf den beiden Innenansichten deutlich, daß kein Mangel an Ausstellungstücken bestanden haben kann, zumal das Sortiment bereits von Anfang an sehr breit gefächert war. Dies ist zumindest der nachfolgenden Anzeige aus dem Dezember 1920 zu entnehmen...

Walter Lehmann gelang es bereits im ersten Geschäftsjahr sich ein gewisses Renommee zu verschaffen. Dies nicht zuletzt durch sein Engagement in der, im Oktober 1920 gegründeten, "Freien Vereinigung der Uhrmacher von Senftenberg und Umgegend", in deren Vorstand er von Beginn an (u.a. als Schriftführer) mitwirkte.

Walter Lehmann erklärt seinen Angestellten "was die Uhr geschlagen hat"
Ca. 10 Jahre nach Gründung des Geschäfts, Anfang bis Mitte der 1930er Jahre (enger kann ich es derzeit nicht eingrenzen), gönnte Lehmann seinem Laden eine Modernisierung.
Ein neues Schaufenster und das Umfunktionieren der ehemaligen Hauseingangstür zum Laden-Entree gaben, gemeinsam mit einem frischen Schriftzug an der Fassade, dem Ganzen ein neues Aussehen. Gleichzeitig dürfte sich dies auch auf die Platzverhältnisse im Innern niedergeschlagen haben. Riesig war die Verkaufs- und Werkstattfläche damit aber immer noch nicht.
Außenansichten der neuen Front finden wir auf den beiden nachfolgenden Fotografien. Das mitgelieferte Datum lautet in beiden Fällen: 1938.
Ich denke, daß das hinkommen kann.
Die obere Fotografie, auf der bereits der Fotograf einen Teil des Kreuzstraßen-Belags weggeschnitten hatte, kann definitiv nicht früher als 1937 gemacht worden sein. Das Elektrogeschäft von Schötz, dessen Außenreklame wir noch kurz rechts erkennen können, residierte erst ab Dezember 1936 an dieser Stelle.
Das Foto darunter entstand in der Weihnachtszeit und wir können konstatieren: auch damals gab es nicht immer weiße Weihnachten.
Senftenberg
Aufnahme <= 1938
Sammlung Familie Forberger
Senftenberg
Aufnahme <= 1938
Sammlung Familie Forberger
Ende Februar 1940 verstarb Walter Lehmann urplötzlich. Er war gerade einmal 44 Jahre alt. Seine Witwe Clara führte fortan das Geschäft und die Werkstatt mit Hilfe der Angestellten weiter. Ihr Sohn, Walter junior, noch nicht einmal 18 Jahre alt, steckte zu diesem Zeitpunkt noch in seiner Ausbildung zum Uhrmacher. Die Lehre schloß er erst im darauffolgenden April erfolgreich ab. Ob er danach seiner Mutter eine echte Hilfe im Familiengeschäft war, ist fraglich. Zumindst nicht lange denn es herrschte Krieg und Burschen seines Alters wurden an der Front gebraucht. Und so wurde Walter Lehmann im Mai 1942 zum Militär eingezogen.
Aber nicht nur die Abkommandierungen von Mitarbeitern an die Front, denen Clara mit Anzeigen in einschlägigen Fachzeitungen (siehe rechts) entgegenwirken wollte, bereiteten der Branche zunehmend Probleme: Spätestens mit Kriegsbeginn begann sich auch die Situation hinsichtlich der Beschaffung von Edelmetallen drastisch zu verschlechtern, um sich in Senftenberg für die nächsten 50 Jahre auch nicht mehr wirklich zu entspannen...
Ich erinnere mich noch an den Eiertanz als es um die Anfertigung meiner eigenen Eheringe Ende 1989 ging. Da musste jedes kleine Stückchen Gold zusammengekratzt werden. Selbst kleinste Fragmente Zahngold waren im wahrsten Sinne des Wortes "goldwert".
Uhrmacher-Woche (Januar 1941)
In dieser Zwangslage schalteten sämtliche Senftenberger Vertreter des Uhren-/Juweliergewerbes regelmäßig Zeitungsanzeigen und versuchten die "Goldreserven" der Bevölkerung anzuzapfen um Neuanfertigungen oder wenigstens Reparaturen bewerkstelligen zu können.

Irgendwie überstanden aber die meisten Senftenberger Uhrmacher den 2. Weltkrieg und führten ihre Tätigkeit auch in der Nachkriegszeit fort. Uhren gingen eben immer kaputt. Und vielleicht sogar die der Offiziere der russischen Kommandantur...

AVAN-Firmen-Archiv (1947)
Mit den neuen Machthabern und den mit ihnen Einzug haltenden Zustände hatte Walter Lehmann jun., der mittlerweile aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft entlassen und wieder in Senftenberg lebend, so seine Probleme.

Und aus diesen machte er auch kein Hehl!

Als jedoch Ende November 1948 der links dargestellte Artikel (in einer noch nicht identifizierten Zeitung) seine nicht konforme Einstellung zu den aktuellen Verhältnissen öffentlich anprangerte wurde ihm der Senftenberger Boden zu heiß.
Es bestand die berechtigte Gefahr "zur Klärung eines Sachverhalts" einbestellt und im schlimmsten Fall inhaftiert zu werden.

Lehmann gelang es dem zuvorzukommen. Er erwirkte am 24. Dezember 1948 bei der sowjetischen Militärkommandantur eine sogenannte "einmalige Interzonen-Reisegenehmigung", die ihm erlaubte die Demarkationslinie zu überschreiten in: Eisenach-Bebra oder Probstzella, um zu fahren nach: Pforzheim, Esslingen, Karlsruhe, Amerikanischer Sektor mit dem Ziel dort Waren und Werkzeuge einzukaufen. Schnellstmöglich trat er die Reise an und kehrte nicht mehr in die sowjetisch besetzte Zone zurück...

Damit verursachte er jedoch ungewollt seiner Mutter und seiner Schwester Helga, die mittlerweile ebenfalls im Familiengeschäft arbeitete, erhebliche Probleme. Wegen seiner "Republikflucht" aus einer Republik, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht existierte, wurde das Haus in der Kreuzstraße 4 unter kommunale Zwangsverwaltung gestellt. Die beiden Frauen mußten somit Miete für ihr eigenes Haus zahlen! Und hielten doch den Betrieb bis ca. Mitte der 1970er Jahre aufrecht. Unterstützt wurden sie dabei anfangs von einer ganzen Armada von Mitarbeitern, wie man auf dem folgenden Foto nachvollziehen kann.

Senftenberg
Aufnahme <= 1949
Sammlung Familie Forberger
Fünf von ihnen saßen dicht an dicht in der kleinen Werkstatt und reparierten fachgerecht Uhren und Schmuck, die von den Senftenbergern in Auftrag gegeben worden waren. Der Spruch Hält die Uhr an, geh zu Lehmann! galt auch weiterhin.
Bemerkenswert an dem Foto, welches neben den Angestellten auch Clara und Helga Lehmann (aber eben nicht Walter und deshalb nach dessen Flucht in den Westen) zeigt, ist zweierlei:
Erstens die doch ziemlich unkonventionelle Schaufensterverkleinerung. Offenbar war Fensterglas gerade Mangelware. Zweitens die veränderte Firmenbezeichnung an der Fassade. Diese muß nach 1938 nochmals erneuert worden sein. Nunmehr ist der Schriftzug Walter Lehmann in Reliefbuchstaben ausgeführt, wobei später durch Kriegeinwirkungen das "W" verschwand und kurzerhand durch eine gemalte Letter ersetzt wurde.