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02.08.2020
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Das Ladenschild Gustav Raatz, Glaserei kennen wir schon von anderen Ansichtskarten und Fotos. Nur war es dabei an einem gänzlich anderen Gebäude angebracht... Zunächst an der Bahnhofstraße 26 und dann am Erweiterungsbau Bahnhofstraße 26b.
Und an dieser doch konstanten Adresse befand sich die Glaserei auch bis 1930. Im Juli jenen Jahres wurde die Senftenberger Bevölkerung via Lokalpresse informiert, daß das Raatz'sche Geschäft nunmehr an die Friedrich-Ebert-Straße 10 umgezogen ist. In eben jenes Haus, das wir auf dem kleinformatigen Foto sehen können.
Senftenberger Anzeiger (Juli 1930)
Senftenberg
Aufnahme <= 1933
Sammlung Peter Apelt
Mit dem Foto "reist" ein 1931/32 als Aufnahmetermin. Ich würde mich dem vom Gefühl her anschließen, möglicherweise wurde die Aufnahme sogar schon im Zusammenhang mit dem Umzug in der zweiten Jahreshälfte 1930 gemacht. Zumindest lässt der handschriftliche Text auf der Rückseite diese Interpretation zu. In jedem Fall wählte der Fotograf einen regnerischen Tag für seinen Schnappschuß aus... das Pflaster des Fußwegs und der Straße glänzt vor Nässe.

Das Haus selbst beherbergte schon seit Ende des 19. Jahrhunderts im Erdgeschoß Geschäftsräume. Mir liegt Schriftwechsel und eine Bauzeichnung aus dem Jahre 1897 vor, die belegen, daß die damalige Eigentümerin, die Witwe Auguste Domzig plante hinter diesem Haus einen Neubau in Form eines Zweieinhalbgeschossers errichten zu lassen, der neben Wohnräumen eine Waren-Remise beherbergen sollte. Gleichzeitig gab die Bauherrin bekannt, daß sie in ihrem Wohnhaus (Jüttendorf Nr.64) bereits einen "Laden mit Schaufenster ausgebaut" habe. Zu dem Neubau scheint es jedoch nicht gekommen zu sein, zumindest nicht in der Form, die die Bauzeichnung (siehe unten) suggeriert.
A - Altes Wohnhaus mit Ladeneinrichtung
B - Stall
C - Neuzuerbauende Remise
D - Garten
E - Stallgebäude Roschinka
F - Stallgebäude Roschinka
G - Wohnhaus Zahn
H - Seitengebäude Zahn
J - Hintergebäude Zahn
K - Schweineställe Zahn
Warum die Baumaßnahme so nicht ausgeführt wurde und welcher Art Waren in der ersten Zeit in dem Laden innerhalb des "alten Wohnhauses" angeboten wurden, entzieht sich aktuell meiner Kenntnis. Sicher hingegen ist, daß Gustav Raatz 1930 Carl Schweinoch ablöste, dem das Grundstück zu diesem Zeitpunkt gehörte. Schweinoch betrieb in dem Haus ca. 20 Jahre lang den Verkauf und die Reparatur von Fahrrädern und Nähmaschinen. Ein Gewerbe, bei dem er sich einer großen Anzahl Konkurrenten in und um Senftenberg gegenüber sah. Die wachsende Popularität (und der damit verbundene Diebstahl) von Fahrrädern garantierte einer Vielzahl von Anbietern ein gutes Auskommen.
Der Laden stellte sich in der Zeit vor dem Wechsel in etwa so dar, wie auf dem nebenstehenden Foto, welches ich in das Ende der 1920er Jahre, definitiv vor oder noch knapp in 1930 einordne.
Senftenberg
Aufnahme <= 1930
Sammlung Georg Messenbrink
Die mir zur Verfügung stehende Foto-Basis ist einer dieser berühmt berüchtigten Weissgärber-Abzüge, die die Erben des in Senftenberg ansässig gewesenen Fotografen Emil Weissgärber vor 10 oder mehr Jahren unters Volk brachten. Die Abzüge waren (glaube ich) nicht einmal so billig, dafür handwerklich ziemlich fragwürdig. An diesem Motiv hier musste ich beispielweise länger digital herumwerkeln als dies vermutlich bei einem Original aus der damaligen Zeit nötig gewesen wäre.
Ich bezweifele auch, daß diese Abzüge von den originalen Negativen eine Goldgrube für die Weissgärber-Nachlassverwalter waren. Dazu war die Auswahl der Motive meines Erachtens zu willkürlich. Wenn ich den, mir bekannten, Ausstoß an Motiven betrachte, kann ich keine klare Linie erkennen. Mir sieht dies vielmehr aus wie "greifen wir mal ins pralle Sammelsurium, irgendwas wird schon dabei rauskommen". Immerhin warf man sich mehrheitlich auf Ansichten von Senftenberger Geschäften, was schon einmal nicht die schlechteste Idee ist. Ohne Begleitinformationen wie ich sie hier auf www.gruss-aus-senftenberg.de gebe, wird der geneigte Betrachter aber ziemlich allein gelassen. Die besten Motive in einem Bildband a la "Senftenberg - Die Weissgärber-Kollektion", versehen mit kurzen Kommentaren, zu veröffentlichen, hätte zweifellos mehr Erfolg versprochen. Nachhaltiger wäre das allemal gewesen. Immerhin war damals der Markt für derartige Senftenberger Heimatbücher noch nicht gesättigt, denn Forkerts 3 Bände kann man nun wirklich nicht "bildlastig" nennen. Die Lücke wurde dann sukzessive mit Publikationen von Norbert Jurk geschlossen.
Egal! Durch jene Abzüge haben wir wenigstens eine kleine Möglichkeit an sonst nicht verfügbares Bildmaterial zu gelangen. Und irgendwer hat sicher noch die Hand auf den Negativen und vielleicht greift derjenige dereinst die Idee mit dem Bildband auf. Ich stände als "Supervisor" zur Verfügung!

Als Beweis meiner Einschätzung der doch zuweilen "abgefahrenen" Motivauswahl mag die nebenstehende Abbildung herhalten. Ebenfalls einer dieser Weissgärber-Abzüge, diesmal nicht ganz so schlecht reproduziert wenn auch in den Randbereichen einige Defizite herrsch(t)en.
Natürlich erkennt der Senftenberg-Auskenner wo wir uns hier befinden. Die Gebäude im Hintergrund geben die richtigen Hinwise sind aber eigentlich nur Beiwerk zu der Szenerie in der Bildmitte. Wann das war und was das Ganze soll, dazu fehlt jegliche Informationen. Aber Hilfe naht! Die Aufnahme wurde nämlich zur Bebilderung eines Artikels im Senftenberger Anzeiger anno 1933 eingesetzt. Ich erspare mir das Abschreiben sondern präsentiere selbigen als Faksimile...

Senftenberger Anzeiger (15.07.1933)
Senftenberg
Aufnahme = 07.1933
Sammlung Georg Messenbrink

Mit Hilfe des Zeitungstextes dürften alle Unklarheiten ausgeräumt worden sein.

Was bleibt abschliessend noch zu sagen?
Gustav Raatz starb nur wenige Jahre nach dem Umzug. Das Senftenberger Einwohnerbuch von 1937 listet als Bewohner der Kaiser-Friedrich-Straße 10 nunmehr einen gewissen Walter Fiedler. Er sollte die Glaserei später übernehmen und bis mindestens ans Ende der 1960er Jahre führen.


Glasereien gibt es in Senftenberg heutzutage nur noch in homöopathischen Mengen. Gleiches gilt für Fotografen. Fahrradläden hingegen existieren eine ganze Menge! Ich hoffe, keinen vergessen zu haben und komme auf aktuell 4 Fachgeschäfte dieser Art im Stadtgebiet.