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Jetzt kann ich es ja zugeben... ich hatte in der Anfangszeit, als bei mir die heimatforscherischen Triebe ganz zaghaft ausschlugen, erhebliche Probleme
mit dem Senftenberger Bahnhof! Immer wenn ich Abbildungen wie die beiden folgenden sah, fragte ich mich "von wo wurde denn das aufgenommen?" oder "wieso
sieht denn das Gebäude so anders aus, was haben die denn da umgebaut?". Naja irgendwann setzte dann doch die Erkenntnis ein, daß Senftenberg zwei
Bahnhöfe hat(te), zu denen jeweils verschiedene Empfangsgebäude gehörten, die sich darüber hinaus auch noch an voneinander abweichenden Standorten befanden.
Fünf Jahre später ist mir diese Tatsache natürlich in Fleisch und Blut übergegangen. Der Mensch wächst mit seinen Aufgaben! Und nun freue ich mich immer,
wenn ich Ansichten des alten Bahnhofs präsentieren kann, denn diese sind durch die Bank interessanter und abwechslungsreicher als Abbildungen vom Nachfolgebau.
Verlag Paul Kaiser. Senftenberg, Kreuzstr. 30 29567 Aufnahme <= 1915 Sammlung Theodor Restel
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Verlag von Br. Pulczynski, Senftenberg, Lausitz Aufnahme <= 1914 Sammlung Matthias Gleisner
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Wie man sehen kann sind die beiden ersten Motive nicht neu im Archiv. Ich konnte jeweils eine andere Version von ihnen bereits vorstellen. Zeitlich bewegen sich
die zwei Motive um 1914/15, möglicherweise sogar etwas eher. Zu dieser Zeit hatte der Senftenberger Bahnhof bereits eine beachtliche Größe erreicht, wenn man die
Gesamtanlage betrachtet. Dank Norbert Jurk kann ich nachfolgend einen vollständigen Lageplan aus dem Jahr 1913 präsentieren. Der ist zwar nicht ganz so verwirrend
wie ein Schnittmusterbogen aber dennoch relativ komplex.
Das, auf beiden Ansichtskarten abgebildete Empfangsgebäude habe ich auf dem Lageplan zur besseren Orientierung rot "eingekästelt". Das neue Empfangsgebäude, welches
auf diesem Plan natürlich nicht enhalten sein kann, befindet sich in etwa dort, wo ich einen grünen Stern eingezeichnet habe. Was den daneben befindlichen Wasserturm (pink eingerahmt)
betrifft, sind wir (Norbert und ich) noch nicht 100%ig sicher, ob es der ist, der heute, wenn auch ohne Funktion, immer noch vorhanden ist. Zum Plan selbst muss
man erklärend hinzufügen, daß er nicht maßstabsgerecht ist, sondern (mindestens) in der Nord-Süd-Richtung etwas auseinandergezogen wurde. Wahrscheinlich um genügend Platz für
die einzelnen Beschriftungen zu erlangen. Nichtsdestotrotz kann man sehen, daß der Senftenberger Bahnhof damals schon beachtliche Ausmaße angenommen hatte. Bereits
im November 1911 gelangten erste Meldungen an die Öffentlichkeit, nach denen der Bahnhof eine ganz bedeutende Erweiterung erfahren sollte, welche sich
nicht nur auf die Vergrößerung der Gleisanlage bis Reppist erstreckt, sondern auch die Uebertunnelung der Chaussee und die Errichtung einer Reparatur-Werkstatt
mit ca. 100 Arbeitern umfassen soll. Der Umbau, dessen Kosten mit 3 Millionen Mark beziffert wurden, sollte 3 Jahre dauern. Ende 1913 befand man sich aber immer
noch in der Planungsphase. Zwar waren schon einige Änderungen erfolgt, der Einbau des zweiten Gleises der Cottbuser Strecke zum Beispiel, aber so richtig voran ging
es in dieser Angelegenheit nicht. Mittlerweile hatte man die Senftenberger über die erfreuliche Nachricht informiert, daß die Errichtung eines neuen Empfangsgebäudes,
welches seinen Platz erheblich näher an der Stadt finden soll in das Gesamtprojekt aufgenommen wurde. Mittlerweile sprach man von 6 - 7 Millionen Mark und einer
Gesamtbauzeit von 5 Jahren.
Der Beginn des Ersten Weltkriegs bremste die Arbeiten stark. Wenn auch in den vier Kriegsjahren einige Arbeiten ausgeführt wurden, betrafen diese zumeist den östlichen
Teil des Bahnhofsgeländes in Richtung Reppist. Nach Kriegsende nahm man die Arbeiten 1919 wieder verstärkt auf. Was uns sowohl zeitlich als auch inhaltlich zu den beiden
folgenden Fotopostkarten katapultiert...
210811 Aufnahme = 1921 Sammlung Fred Förster
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Aufnahme <= 1923 Sammlung Norbert Jurk
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Auf dem Original dieser Fotopostkarte prangt folgender ungelenke
Schriftzug, der die Datierung der Aufnahme vergleichsweise angenehm gestaltet...
Ungelenk deshalb, weil er höchstwahrscheinlich in die Fotoplatte geritzt
wurde, wobei man natürlich spiegelverkehrt schreiben muss. Wer schon einmal
versucht hat, ein Wort spiegelbildlich zu schreiben, welches danach noch nach
etwas aussieht, wird bestätigen, daß es nicht so leicht ist. Wie man
erkennen kann, hat die Person beim "S" versagt.

Wir können also ziemlich sicher sein, daß wir uns im Jahr 1921 befinden.
Den genauen Tag (14. September) lasse ich erst einmal dahingestellt.
Kann stimmen - muss nicht.
Dem Schriftzug verdanken wir im Übrigen auch, daß das Original (wieder)
hier in Senftenberg gelandet ist. Verschickt wurde die Karte nämlich
aus Kohlfurt (heute: Wegliniec/Polen). Da Händler sich bei der Ortsbestimmung
zumeist nach dem Postausgangsstempel orientieren wenn sie keine anderslautende
"echte" Ortsangabe auf der Bildseite finden, können wir von Glück sprechen,
daß die Karte nicht unter Kohlfurt eingeordnet wurde und Sammler der dortigen
Region in den Wahnsinn treibt.
Bildlich befinden wir uns direkt bei den Umbaumaßnahmen zwischen dem
Empfangsgebäude und der Calauer Straße. Ich bin mir sicher, daß wir hier
nicht dem Abtragen sondern dem Aufschütten des Geländes
beiwohnen. Immerhin wollte man ja die Chaussee mittels Brückenbauten
überqueren. Also musste man dort, wo vormals beschrankte Bahnübergänge
die Straße kreuzten, das Niveau soweit anheben, daß man bequem ein
Brückenbauwerk installieren konnte, ohne die Straße zu stark absenken
zu müssen. Hierzu passt auch folgende Meldung aus dem Senftenberger
Anzeiger des Jahres 1921.
- Senftenberg, 3.März. Der hiesige Bahnhofsumbau in diesem Jahre in
größerem Umfange fortgesetzt. Das neue Bahnhofsgebäude geht seiner
Vollendung entgegen, nachdem es während des Krieges nur in seinen
Umfassungsmauern stand. Am Sonnabend war eine Kommission hier anwesend,
um über die Einsprüche betreffs der Unterführung der Bahnhofstraße zu
verhandeln. Der Fahrdamm soll dort nur eine Breite von 8 Mtr. haben
und in der Mitte durch Pfeiler gestützt werden. Hiergegen war von
Seiten der Stadtverwaltung Einspruch erhoben worden unter Hinweis auf
den starken Verkehr und die verengte Zufuhr, die kurze Entfernung und
das 1,40 Meter Gefälle. Der Einspruch fand Berücksichtigung und
werden die Pfeilerstützen wahrscheinlich in Fortfall kommen. Von
beiden Seiten bleibt unter beiden Unterführungen noch ein Fußweg von
3 Metern Breite. Zu den vorerst ausgeschriebenen Erd- und Oberbauarbeiten
waren 37 Angebote eingelaufen. Das niedrigste Angebot hatte eine Firma
aus Göttingen mit 176552 Mark gemacht, während das höchste Angebot sich
auf 1042825 Mark belief.
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Eine weitere Zeitungsmeldung, ebenfalls aus dem Jahre 1921 und dem
Senftenberger Anzeiger liefert uns einen versteckten Hinweis auf
die Szenerie der zweiten Fotopostkarte. Das Original enthält diesmal
leider keinerlei verwertbare Hinweise auf ein Datum, aber <= 1923 ist
in jedem Fall richtig...
- Senftenberg, 20.Juli. Von heute ab fahren sämtliche Personenzüge auf
der Nordseite ein und aus, und zwar die Züge nach Lübbenau Bahnsteig 1
(Gleis 1), nach Kamenz Bahnsteig 2 (Gleis 2), nach Cottbus Bahnsteig 2
(Gleis 4), nach Großenhain Bahnsteig 3 (Gleis 7). Das reisende Publikum
muß zu allen Bahnsteigen die zu diesem Zwecke errichtete Brücke passieren.
Gemeint ist natürlich der Hinweis auf die provisorische Brücke, auf der
wir mittels der Postkarte drei Damen entdecken, die noch lachen können, da sie
offensichtlich kein schweres Gepäck die Treppen hochwuchten mussten.

Senftenberger Anzeiger (1921)
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Senftenberger Anzeiger (1921)
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