Das Vertriebssystem des "Senftenberger Anzeiger"
Der "Senftenberger Anzeiger" erschien als Nachmittagszeitung.
Der Druckbeginn war im allgemeinen 13.30 Uhr, spätestens 14.00 Uhr.
Das hatte den Vorteil, daß wichtige politische Nachrichten
oder Geschehnisse, die bis 13.00 Uhr über Pressefunk oder
Fernschreiber gesendet wurden, noch in die Zeitung aufgenommen
werden konnten. Durch diese Erscheinungszeit konnte man im Bezug
auf die Aktualität konkurrieren, besonders mit den großen
Tageszeitungen aus Dresden, Leipzig und Berlin, die nachmittags
auch in Senftenberg angeboten wurden. Der "Cottbuser Anzeiger"
und die "Lausitzer Landeszeitung", beide in Cottbus gedruckt,
versuchten auch in Senftenberg Absatz zu haben.
Es war Prinzip, daß jeder Leser im Verbreitungsgebiet, das
ungefähr dem heutigen Kreis Senftenberg entsprach, seine
Heimatzeitung, den "Senftenberger Anzeiger", zum Nachmittagskaffee,
spätestens im letzten Dorf um 17.00 Uhr in der Hand haben sollte.
Die meisten Leser bezogen die Zeitung im Abonnement, erhielten
sie entweder durch Boten zugestellt oder holten sie sich in den
Ausgabestellen ab.
Günter Grubann (1936)
Die Leser der Stadt Senftenberg hatten ihre Zeitung bald nach
Druckbeginn. Pünktlich zum Druckbeginn standen die Boten, oft mit
Fahrrad, an der Maschinensaaltür, um ihre Zeitungen in Empfang zu
nehmen. Die Ausgabestellen in Senftenberg und Senftenberg II/Hörlitz
wurden mit der ersten Tour eines Lieferwagens beliefert.
Ein Fuhrpark, bestehend aus drei Lieferwagen und einem Motorrad,
brachte die Zeitungen in das Verbreitungsgebiet, das für die
Zustellung in vier Touren eingeteilt war, außer der "Stadttour",
die schnell bewältigt war. Eine Tour umfaßte das Gebiet nördlich
von Senftenberg mit Rauno, Ilse/Bückgen, Freienhufen (Dobristroh),
Drochow, Saalhausen, Groß- und Kleinräschen, Altdöbern bis Muckwar
mit abseits liegenden Ortschaften oder auch Gehöften.
|
Senftenberger Anzeiger (1925)
|
Der Lieferwagen, der diese Tour fuhr, mußte vorher noch Schipkau-Klettwitz
und Annahütte anfahren.
Eine weitere Tour verlief über Grube Marga, Brieske, Viktoria III,
Naundorf, Ruhland, Schwarzheide (Zschornegosda), Lauchhammer-Werk,
Arnsdorf, Jannowitz, Kroppen, Ortrand, Guteborn, Lipsa, Hermsdorf.
Der dritte Lieferwagen hatte die Strecke Buchwalde, Niemtsch, Peickwitz,
Klein- und Großkoschen, Tätzschwitz, Geierswalde, Lauta-Dorf, Lauta-Werk,
Schwarzkollm, Grube Erika, Laubusch, Hosena, Hohenbocka, Sella, Wiednitz,
Grünewald zu bewältigen.
Die "Motorradtour" verlief über Reppist, Sedlitz, Bahnsdorf bis Neupetershain
sowie Proschim und Partwitz.
Zwischen 17.00 und 18.00 Uhr waren die Fahrzeuge wieder zurück. Sie
legten täglich eine Strecke von ca. 120 km zurück, das Motorrad ca. 70 km.
Der Aufenthalt an den Ausgabestellen war sehr kurz. Ausladen des gepackten
Zeitungspakets - sie lagen schon der Tour nach im Wagen - Abgabe und Empfang
von Geschäftspost, und schon gings eilends weiter zur nächsten Ortschaft.
Die Leser und Boten warteten an den Ausgabestellen, sie wußten ja, wann
das "Zeitungsauto" kam, der "Fahrplan" hatte sich eingespielt. Gab es auf
Grund von Pannen Verspätungen und die Ausgabestellen konnten davon telefonisch
nicht mehr benachrichtigt werden, konnte sich der Fahrer von den wartenden
Lesern etwas anhören. Aber Verspätungen waren die Ausnahme. Blieb tatsächlich
mal ein Fahrzeug mit einer Panne, die nicht selbst behoben werden konnte,
unterwegs liegen, wurde, sobald der Chef Kenntnis davon hatte, ein
gemietetes oder geliehenes Ersatzfahrzeug auf "Tour geschickt", oder das
Fahrzeug, das zuerst zurück war, mußte dann einspringen.
Auf jeden Fall wurde alles daran gesetzt, damit die Leser an dem Tag noch
ihre Zeitung erhielten.
Während des zweiten Weltkrieges mußte wohl für die Zustellung der Zeitungen
verstärkt Bahn und Post in Anspruch genommen werden, denn die Fahrzeuge
wurden z.T. eingezogen und das Benzin rationiert. Per Post im Streifband
erhielten Leser ihre Zeitung, wenn sie verreist waren, an ihren Aufenthaltsort.
Das betraf auch ehemalige Senftenberger im In- und Ausland. Der "Senftenberger
Anzeiger" war dann die Verbindung zur Heimat. Ich entsinne mich, daß
täglich drei (?) Zeitungen in die USA gingen, wo ausgewanderte Senftenberger
sich niedergelassen haben.
Oft erhielt die Redaktion von dort Dankschreiben für pünktliche Lieferung,
manchmal auch mit Schilderungen von Erlebnissen oder Erinnerungen, die
dann unter "Eingesandt" veröffentlicht wurden, wenn sie sich dafür eigneten.
...
|