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Sehen wir obige Aufschrift auf einer Ansichtskarte dann wissen wir fast automatisch, dass wir uns bildtechnisch wohl im Raum des
sogenannten Jüttendorfer Angers bewegen. Mittlerweile hat sich diese Bezeichnung im allgemeinen Sprachgebrauch etabliert ohne dass
tatsächlich einmal eine derartige offizielle Benennung existierte. Heute ist selbst in Verlautbarungen der Stadt kaum noch von der
Ernst-Thälmann-Strasse, so die offizielle Bezeichnung, die Rede. Bei "Jüttendorfer Anger" wissen alle Bescheid, da es zudem ja auch noch
das Problem mit der Thälmann-Strasse gibt, die sich, mehrfach unterbrochen, durch das Stadtgebiet schlängelt. Mal ganz davon abgesehen,
dass es diesen Straßennamen durch die Eingemeindung sämtlicher früher eigenständiger Orte nun mehrfach unter dem Oberbegriff "Senftenberg"
gibt. Aber das ist ein anderes Kapitel, welches heute und hier nicht weiter vertieft werden soll.
Stattdessen tauchen wir visuell in die Zeit ein, als besagter Straßenabschnitt noch die Bezeichnung Kaiser-Friedrich-Strasse trug. Wie
ich bislang ermitteln konnte, wurde dieser Name im März 1910 vergeben. Bis dahin sprach man wohl ganz grob von "Jüttendorf" oder der "Dorfstrasse"
und letztere Bezeichnung finden wir auch auf der ersten Ansichtskarte für heute, vor.
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Senftenberger Anzeiger (1910)
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Witzigerweise trägt die farbige Variante, die ich vor
langer Zeit vorstellte an dieser Stelle (schon) die
Bezeichnung Kaiser-Friedrich-Strasse. Wobei dieser
Name auch nicht in Stein gemeißelt war. Für einen kleinen
Zeitraum trug die Straße auch einmal den Namen Friedrich
Eberts, bevor dann wieder auf Kaiser Friedrich und nach
dem Krieg auf Ernst Thälmann umgeschwenkt wurde.
Liest man sich den links abgebildeten Zeitungsartikel aufmerksam
durch, dann wird man feststellen, dass Jüttendorf eben
nicht nur das engere Gebiet um den sogenannten Anger umfasste
sondern eine erhebliche Ausdehnung bis hoch in den Senftenberger
Norden aufwies.
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Neue Postkartenquelle Bruno Hanzig, Görlitz Photogr. v. A.Kleye, Görlitz. 2132 Aufnahme <= 1909 Sammlung Matthias Gleisner
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Außerdem reichte Jüttendorf westlich bis weit hin nach Grube Marga. In
südwestlicher Richtung vom Anger sind auch die beiden Abbildungen der zweiten
Ansichtskarte zu verorten. Die Kirche ist aufgrund der Tatsache, dass sie immer
noch an Ort und Stelle steht, relativ einfach zu bestimmen. Das Gebäude
Fleisch- & Wurstwaren, Schank- & Frühstückslokal Christiane Melisch
befand sich einst auch in dieser Gegend. Die Älteren werden sich möglicherweise
noch an den aus der Wand ragenden Schweinekopf erinnern, welchen man auf der
Ansichtskarte ausmachen kann. Für all jene, denen gerade die rechte Peilung
fehlt, füge ich ein Faksimile aus der Lausitzer Rundschau bei, das
die Lage des Hauses besser verdeutlicht.
wahrscheinlich 1930er Jahre
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Verlag: E. Weissgärber, Plauen i.V. Aufnahme <= 1913 Sammlung Matthias Gleisner
Senftenberger Anzeiger (1905)
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Im Zuge des Wohnungsbauprogramms der DDR verschwand die Hälfte der Häuserzeile um Neubaublöcken Platz zu machen. Bevor selbige jedoch
errichtet wurden, sah das Areal so aus, wie auf folgendem Faksimile aus der Lausitzer Rundschau.
Ob das rückblickend alles so eine gute Idee war? In meinen Augen nicht! Ich prophezeie mal, dass der Wohnblock, der dort heute steht
auch nicht mehr das ganz lange Leben hat...
Aber schnell wieder von der Jetztzeit zurück in die Vergangenheit. Drei Ansichten harren noch der Vorstellung. Bevor es jedoch soweit ist,
möchte ich noch auf ein kleines Detail der zweiten Karte hinweisen, und zwar auf die Verlegerangabe. Aus dieser geht hervor, dass der in Senftenberg
allseits bekannte Fotograf Emil Weissgärber offenbar im vogtländischen Plauen beheimatet war ehe er seine Zelte in Senftenberg aufschlug.
Aufnahme <= 1930 Sammlung Wilhelm Petsch
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Während wir es links mit einer kommerziellen Ansichtskarte,
wenn auch ohne explizite Herstellerangabe, zu tun haben,
handelt es sich rechts um eine einfache Fotografie. Deren
Datum können wir relativ sicher auf 1934 festlegen. Wir
sehen das Hinweisschild, welches die damaligen Autofahrer
darauf hinwies, dass die Bahnhofstrasse aufgrund von Bauarbeiten
gesperrt ist.
Derartige Straßenbaumassnahmen hatten im Bereich der Kaiser-
Friedrich-/Bismarck-Strasse bereits zuvor stattgefunden, was wir am
perfekt verlegten Pflaster erkennen können. Selbiges fehlt auf
der linken Ansichtskarte zumindest für die Teile der Fahrbahn,
die vor die Linse des Fotografen kamen.
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Aufnahme = 1934 Sammlung Hubert Ambrosius
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Den Abschluss bildet eine außergewöhnliche Ansichtskarte, die bisher wahrscheinlich
die wenigsten gesehen haben dürften. Abgebildet ist das Christliche Gemeinschaftshaus,
welches sich in der nördlichen Häuserzeile der Kaiser-Friedrich-Strasse befand. Wir erhalten
auf der zuvor vorgestellten Karte links einen etwas entfernteren Blick auf dasselbe
Haus, welcher uns hilft, die Position des Gemeindehauses im Gesamtkontext einzuordnen.
Es ist das zweite Haus von links.
Wem der, an der Fassade angebrachte, Schriftzug Christliche Gemeinschaft und Jugendbund für
gefolgt von einem merkwürdigen Logo irgendwie abgehackt vorkommt... Willkommen im Club! Aber ich
lasse natürlich niemanden dumm sterben und komme meinem "Bildungsauftrag" nach. Gott sei Dank,
gibt es das Internet (Ich kann mir nicht vorstellen, dass man Heimatforschung überhaupt noch
erfolgreich ohne dieses Medium durchführen kann).
Es geht also um das Logo EC oder CE je nachdem wie man es liest. Und es ist in der Tat
egal ob EC oder CE und das kommt so...
Die beiden Initialen stehen in Deutschland für Entschieden für Christus. Der Ursprung
der so bezeichneten überkonfessionell-christlichen Jugendbewegung evangelikaler Prägung liegt jedoch
in den USA des 19. Jahrhunderts. 1881 wurde durch den Gemeindepfarrer Francis E.Clark in Portland die
Bewegung Christian Endevaour ins Leben gerufen. Die Akzeptanz dieser Bewegung, die sich
der Weiterverbreitung der christlichen Botschaft verschreibt und die im Wesentlichen von der ehrenamtlichen
Tätigkeit von Jugendlichen und jungen Erwachsenen getragen wird, griff rasant um sich, so dass
bereits 1894 weltweit 54000 Jugendgruppen mit fast 4 Millionen Mitgliedern existierten. In Deutschland
wurde am 7. Oktober 1894 der erste deutsche "Jugendbund für entschiedenes Christentum" gegründet.
Wann genau die EC-Bewegung in Senftenberg Einzug hielt, konnte ich in der Kürze der Zeit nicht in
Erfahrung bringen. Dass es sie hier dereinst gab, das beweist uns eine Ansichtskarte. Ich wusste, die Dinger
sind nicht nur zum Verschicken gut.
Persönlich halte ich das gesicherte 1937 für die beiden Aufnahmen der Ansichtskarte für ca. 10 Jahre zu spät.
Senftenberger Anzeiger (1929)
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Gerlach & Co., Bln. SW61, Blücherstr. 12. 27 Aufnahme <= 1937 Sammlung Norbert Jurk
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