Beim Betrachten der
3 BILDER vom fast leer gefegten
MARKTPLATZ fiel mir als erstes sofort die Jahreszahl
1915 auf.
Da sich der
1.WELTKRIEG kaum auf deutschem Boden abspielte, strahlt unsere
HEIMATSTADT SENFTENBERG an diesem nachmittäglichen Fototermin natürlich sichere Beschaulichkeit aus, allerdings gepaart mit einem Hauch gespenstischer Ruhe.
Die
KARREN und
FUHRWERKE stehen verwaist auf dem großen Areal herum, während sich deren Kutscher vor Gulben’s
MARKT-RESTAURANT die Beine in den Bauch stehen. Nur wenige
HAUSFRAUEN überqueren den Platz, der
KAUFMANN Kubaschek hält Ausschau nach Kunden, die sich aber wohl eher auf den
UHRMACHER Paul Schmidt „eingeschossen“ haben.
Und schon hatte ich das Stichwort für mein
KOMMENTAR-THEMA gefunden:
SENFTENBERGER ALLTAG IM KRIEGSJAHR 1915
Da die meisten wehrhaften
MÄNNER in den
SCHÜTZENGRÄBEN lagen, blieb der „Kampf um das täglich‘ Brot“ einzig und allein den
FRAUEN überlassen. Wohl auch deshalb kam der >Senftenberger Anzeiger< im April d.J. mit einem „simpel-patriotischen“
KRIEGSLIED DER HAUSFRAU daher, aus dem ich ein paar Zeilen zitieren möchte:
Wohlauf, deutsche Frauen, zum Herd, zum Herd,
den Quirl und den Löffel geschwungen !
Der grimmige Feind, der uns nun beehrt,
wird frisch von uns Hausfrau’n bezwungen.
Nicht Spargel, Radieschen, nicht Kraut noch Salat –
den vordersten Rang die Kartoffelfrucht hat.
Gleichzeitig lud man zu einem
VORTRAG der Gattin des Landrates des Kreises Calau Graf Karl Alphons von Pourtalès (1861-1930), über
>VOLKSERNÄHRUNG< ein, bei welchem den Hausfrauen die kriegsbedingten Sparmaßnahmen eingetrichtert wurden:
Dessen ungeachtet wurden aber die traditionellen, bei Hausfrauen überaus beliebten
KRAMMÄRKTE wie gewohnt durchgezogen,
wobei sich neben
STAMM~ & LAUFKUNDSCHAFT vermehrt
LANGFINGER ein Stelldichein gaben:
6. Juli 1915
„Der gestrige KRAMMARKT war bei schönstem Wetter außerordentlich gut besucht und herrschte so lebhafter Umsatz, daß die VERKÄUFER meist ihre Zufriedenheit mit dem Geschäft äußerten. Der Verkehr war zwar in den Vormittagsstunden etwas schleppend, jedoch in den Mittags~ & Vormittagsstunden wiesen die einzelnen BUDENREIHEN ein lebhaftes Bild auf. Auch die LANGFINGER dürften nicht leer ausgegangen sein, denn es wurde bei einem STANDE auf dem MARKTE beobachtet, wie eine dicke FRAU mit dunkler Bluse und weißer Schürze einen grauen Cheviot-Frauenrock zusammenwickelte und schnell damit verschwand. Die Frau wird gut tun, wenn sie den ROCK schnellstens in der Anzeiger-Expedition abliefert.
Die Frau Bertha W. aus R. entwendete an einem BUDENSTANDE zwei Schürzen. Sie wurde aber beobachtet und zur Anzeige gebracht.
An anderer Stelle entwendete die Frau Theophile R., Brunnenstraße von hier, 2 Jacken, Spitzenkragen und Taillen. Als die DIEBIN entlarvt und polizeilich sistiert wurde, sammelte sich trotz des lebhaften Verkehrs eine dichtgedrängte MENSCHENMENGE, während dessen ein LANGFINGER an die Arbeit ging.
Einer Dame entwendete der Unbekannte ein PORTEMONNAIE mit ca. 11 Mark Inhalt aus der Manteltasche.
Die angestellten Ermittelungen blieben ohne Erfolg.“Hin und wieder kam auch schon mal ein an die Front reisendes
BATAILLON in unsere Stadt und ersuchte bei den Bürgern um kurzzeitiges
QUARTIER nach, wie am 26. Juni 1915 zu lesen war:
„Unsere Stadt ist seit heute nachts 2 Uhr GARNISON und zeigte infolgedessen heute ein erheblich belebteres Straßenbild. Die gestern mittags avisierte EINQUARTIERUNG ist in Stärke von über 1000 Mann nachts gegen 2 Uhr hier einmarschiert, 4 Stunden später als zuerst angesagt, aber trotzdem waren viele Hunderte von Einwohnern nach dem BAHNHOF geeilt, um die gerngesehenen QUARTIERGÄSTE im Empfang zu nehmen. Der ZUG war bereits kurz nach ½ 1 Uhr eingetroffen und dauerte es bis gegen 3 Uhr, ehe die SOLDATEN, die eine 24-stündige Eisenbahnfahrt hinter sich hatten, alle an Ort und Stelle waren.
Heute vormittags hatten die in der Stadt einquartierten Truppen auf dem Marktplatze APPELL. Es ist noch nicht bekannt, wie lange wir unsere Einquartierung behalten werden. Jedenfalls hoffen wir, daß es unseren militärischen Gästen hier recht gut gefallen möge.“
„Die Freude über unser Avancement zu einer GARNISONSTADT war leider nur eine kurze, denn am Sonnabend abends wurde bekannt, daß das einquartierte kombinierte BATAILLON nicht am Dienstag, sondern bereits am Sonntag mittags seine Fahrt fortsetzen sollte. Und so rückten gestern vormittags nach 11 Uhr die einzelnen Abteilungen auf den MARKTPLATZ, wo Aufstellung genommen wurde. Der den Transport führende Hauptmann hielt eine ANSPRACHE, in welcher der Stadtgemeinde Senftenberg und den Ortschaften Jüttendorf und Thamm warmer DANK für die überaus freundliche Aufnahme abgestattet wurde.
Einem freudig aufgenommenen dreimaligen HURRAH auf die Stadt Senftenberg folgte dann noch eine militärische Ansprache mit brausendem HURRAH auf Seine Majestät den Kaiser. Kurz vor 12 Uhr erfolgte der ABMARSCH nach dem BAHNHOFE, begleitet von außerordentlich zahlreichem Publikum, woran sich gegen 1 Uhr die ABFAHRT schloß.“
Diese Begegnung mit „echten Soldaten“ motivierte natürlich die
SCHULJUGEND dergestalt, dass sie mit Eifer
>KRIEGSSPIELE< veranstalteten,
deren
REGELN ebenfalls im Lokalblatt veröffentlicht wurden, damit alles seinen realistischen Anstrich hatte:
Allerdings mussten auch einige solistisch tätige
„KÄMPFER“ bei ihren geheimen Operationen bitteres Lehrgeld zahlen:
„Gestern nachmittags wurde ein GERÜCHT verbreitet, daß in der Heide nahe der TOTZIGMÜHLE drei Personen auf Schulknaben mehrere Schüsse abgefeuert hätten, wodurch 2 Knaben SCHUSSWUNDEN an den Händen davongetragen haben. Das verbreitete GERÜCHT ist unwahr.
Die beiden Knaben hatten KARBID in eine BIERFLASCHE mit Patentverschluß getan und WASSER darauf gegossen. Die hierdurch hervorgerufenen GASE brachten die Flasche zum Platzen. Die Knaben trugen VERLETZUNGEN an den Händen davon. Um nun der elterlichen ZÜCHTIGUNG aus dem Wege zu gehen, griff man zu einer wohlerdachten AUSREDE.“Dass aber nicht nur
HALBWÜCHSIGE zu
LEICHTSINN neigten, zeigte ein schwerer
UNGLÜCKSFALL, von dem am 10. Juni folgendes verlautete:
„Herr Rechnungsführer K. hatte von einer Reise nach dem galizischen Kriegsschauplatze, wo er die Leiche eines dort Gefallenen geholt hatte, eine HANDGRANATE mitgebracht und zeigte dieselbe gestern abends mehreren dort anwesenden Herren. Herr Bauführer L. wollte das Werfen einer solchen Granate praktisch vorführen, wobei ihm dieselbe den Händen entglitt und explodierte. Die DETONATION war weit hörbar und die Gewalt des Luftdruckes bei der EXPLOSION war so stark, daß viele Fensterscheiben der >KAISERKRONE< eingedrückt wurden. Mehrere Herren erlitten kleinere und größere Verletzungen, u.a. Herr Hauptlehrer P. schwere Kopf~ & Augenverletzungen (Verlust des linken Auges und Verwundung der Schädeldecke), Herr Ziegeleiinspektor K. Beinverletzungen, ein Oberkellner eine schwere Kopfverletzung. So hat dieser unglückselige Krieg weit entfernt vom Schlachtfelde auch hier zum Schaden mehrerer Personen gewütet.“Wenige Tage später wurde das Geschehene gottlob etwas relativiert:
„Nach ersten GERÜCHTEN waren sogar Köpfe und Gliedmaßen in der Luft umhergeflogen, doch die VERWUNDUNGEN sind übertrieben. Herr Hauptlehrer P. hat zwar ein Auge verloren, jedoch keine Verletzung des Schädelknochens. Die Verletzung des Oberkellners ist nur leicht und die Beinverletzung des Herrn K. war so unbedeutend, daß man darüber hätte scherzen können, wenn weiter nichts geschehen wäre…“
Weniger blutig ging es bei einer am 9.10.1915 im >Senftenberger Anzeiger< beworbenen sensationellen
AUSSTELLUNG zu:
„Das SCHLACHTENKOLOSSEUM im Saale des >GASTHOF ZUM DAMHIRSCH< in Jüttendorf, welches täglich von früh bis abends 10 Uhr geöffnet ist bietet eine Fülle des wirklich Interessanten und Lehrreichen.
Die nach der Natur aufgenommenen BILDER sind prachtvolle Aufnahmen, deren Schönheit noch durch besonders kunstvolle Kolorierung von bedeutenden SCHLACHTENMALERN gehoben wird.
Besonders SCHÜLERN & SCHÜLERINNEN sei der Besuch der AUSSTELLUNG sehr empfohlen. Die Erinnerung an die gesehenen Bilder wird auch noch für spätere Zeiten vorhalten. Aber auch die ERWACHSENEN werden durch die Schönheit und Eigenart der Bilder überrascht sein.
Vom Anfang des Weltkrieges bis in die letzte Zeit sind die interessantesten EPISODEN in Bildern vertreten, wie z.B. die Erstürmung LÜTTICHS;
von goldenem Sonnenschein bestrahlt liegt die Zitadelle mit ihren zahlreichen Forts, welche zum Teil schon Beschädigungen aufweisen, und auf dem Gelände zuvor überrennt unsere unvergleichliche Infanterie die belgischen Stellungen, dazwischen platzen die Granaten und weiße Wölkchen zeigen, wo die Schrapnells explodieren. Ueber dem Ganzen schwebt in majestätischer Höhe ein >ZEPPELIN<, ein schwarzer rauchender Punkt (eine Bombe) fällt von der Gondel aus zur Erde, und auch ein Flugzeug zieht seine Bahn.
Sehr fesselnd ist auch die Eroberung der ersten Fahne bei LAGARDE und die Vernichtung der Zuaven und Turkos durch Maschinengewehre bei SOISSONS, sowie die Vernichtung einer englischen Kavalleriedivision, die in Stacheldrahtverhaue gerät. So hat jedes Bild seine Vorzüge.
Wir können deshalb den Besuch des KOLOSSEUMS sehr empfehlen, zumal der Reinertrag unseren tapferen Kriegern und deren Angehörigen zu Gute kommt.“
Für die
SOLDATEN an der Ost~ & Westfront war dieses
>BILDERTHEATER< zumeist blutige
REALITÄT.
Sie sehnten sich nach einem Leben in Frieden im Kreise ihrer
FAMILIEN zurück. Vor allem die treusorgenden
MÜTTER hielten den
KONTAKT zu ihren Söhnen aufrecht, wie die folgende
KRIEGSPOSTKARTE beweist:
„1.Nov.1915 …Mein Liebling !
Heute trifft mein Glückwunsch schriftlich bei Dir ein. Es ist das Erstemal, daß ich Dein Gabentischchen nicht decken kann,
aber denke an Deinem Namenstage, daß Mütterchens Gedanken bei Dir sind.
Mit meinen Wünschen schicke ich Dir meinen Segen und mein Gebet gilt nur Deinem Glück !
Der Inhalt des Päckchens möge Dich erfreuen und daran erinnern, daß treue Mutterliebe für Dich sorgt und wacht.
Dein Namenstag sei Dir ein Feiertag.
Sei in Gedanken innig geküßt und gesegnet von Deiner Mutti.“
Leider kamen nicht alle heil aus dem
KRIEG zurück.
Wenn der
BRIEFTRÄGER vor der Tür stand und einen schwarz gerahmten Briefumschlag in der Hand hielt, brachen die Angehörigen in Tränen aus.
Dabei tröstete sie auch nicht, dass der sarkastisch definierte
>HELDENTOD< ausnahmslos jeden treffen konnte
– Kriegsfreiwillige oder wehrpflichtige Reservisten, einfache Arbeiter oder Fabrikbesitzer.
Auf das
SOLDATENLEBEN & ~STERBEN von 1914/18 komme ich zu einem späteren Zeitpunkt zurück…
