Neues 384 - 2019-07-28

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Matthias
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Neues 384 - 2019-07-28

Beitragvon Matthias » Sa 27. Jul 2019, 08:16

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Harald
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Re: Neues 384 - 2019-07-28

Beitragvon Harald » So 28. Jul 2019, 11:06

TB UND Bf_resize.jpg

Heute möchte ich auf die kürzlich gemachte Randbemerkung unseres treuen Heimatforscherkollegen KLAUS HAUPTVOGEL eingehen, und die im Hintergrund einer SEE – BILDPOSTKARTE „in weiter Ferne“ zu sehenden
SCHORNSTEINRIESEN
etwas näher unter die Lupe nehmen.
Neben den wie Mondlandschaften anmutenden TAGEBAUGRUBEN prägten vor allem die SCHORNSTEINE als symbolhafte „INDUSTRIE-LEUCHTTÜRME“ bis zur Jahrtausendwende das Bild unserer SENFTENBERGER BRAUNKOHLENREGION.
Auf dem Fotoausschnitt, der, wie man sehen kann, sogar seinen Platz auf einem SCHMUCKBRIKETT fand, erkennt man links zwei kleine Schornsteine der BRIKETTFABRIK „Franz Mehring“; rechts die zwei hohen des GRUBENKRAFTWERKS Brieske.
Viele Badegäste und Segler konnten einstmals diesen Anblick genießen und ließen sich dabei auch nicht vom Kohlenstaub stören, der bei „ungünstigem Wind“ wie ein leichter Film die Wasseroberfläche überzog.
Brikett_resize.jpg

Als ich am 1. September 1966 zu meinem ersten Schultag als Lehrer mit dem Fahrrad gen BRIESKE-OST fuhr, sah ich dann diese „LANDMARKEN“ aus nächster Nähe:
Zwei dickbauchige KÜHLTÜRME und zwei schlanke, 140 Meter hohe SCHORNSTEINE überragten einst sehr deutlich den weithin sichtbaren KIRCHTURM und prägten die SILHOUETTE dieser Bergarbeitersiedlung.
Die hier wohnenden Bergarbeiterfamilien hatten eine engere Beziehung zur „Energie“ als die Klimaretter von heute, bei denen sich dieser Begriff nur auf Steckdose und Heizkörper reduziert. Die Kumpel von einst hatten nämlich auch die Mühen der Energieerzeugung im KRAFTWERK BRIESKE kennen gelernt und konnten mit Energie sehr gut umgehen.
In den Jahren 1962 bis1966 erbaut und in Betrieb genommen, versorgte es 33 Jahre lang nicht nur die TAGEBAUE und die BRIKETTFABRIKEN Brieske, Fortschritt, Impuls und Meurostolln mit Strom und Dampf, sondern auch die neuen Wohngebiete der Stadt Senftenberg und Teilgebiete der Gemeinde Brieske mit Fernwärme.
Ich radelte damals gemeinsam mit Bergleuten und Angestellten des BRAUNKOHLENKOMBINATS in einem nicht abreißenden Fahrradstrom bei Wind und Wetter meinem Arbeitsort, der POS BRIESKE, entgegen – auch samstags, denn die 5-Tagewoche für Schüler und Lehrer kam erst mit der WENDE. Mit ihr kam aber leider auch das Ende der ÄRA "BRAUNKOHLE" in unserer Region, da sich ein bedeutender Rückgang im Bedarf und Einsatz von Braunkohle und Briketts vollzog – der Absatz brach innerhalb von 3 Jahren ein.
1988 arbeiteten im KRAFTWERK noch 293 Personen, davon 192 im Schichtbetrieb, 84 in der Tagschicht und Verwaltung.
NACH DER WENDE zeichnete sich mit dem Auslaufen des Tagebaus Meuro auch die Schließung dieser Energiezentrale ab.
Aus „Kumpeln“ wurden „Arbeitnehmer“ und nur ganze 61 von ihnen führten im Dezember 1999 den ABFAHRPROZESS des Kraftwerks durch.
Die Stromerzeugung wurde am Standort Brieske eingestellt – die Produktion von Wärme erfolgt nun mit dem in der Nähe neu errichteten HEIZKRAFTWERK.

Lok.jpg

Das KRAFTWERK mit seinen vier Türmen war über Nacht für immer verschwunden - PLATT GEMACHT, sagen die ehemaligen Bergleute.
Nur eine E-LOK mit Kipper, die am 25. Dezember 1999 den letzten Kohlenzug aus dem Tagebau Meuro in das Kraftwerk Brieske gezogen hatte,
grüßt nahe dem Ortsausgang der heutigen Gartenstadt Marga als Denkmal einstiger Bergbautradition wehmütig herüber.
Es erinnert an eine große Zahl von Menschen in unserer Region, die ihre Arbeit von heute auf morgen verloren.
In fast jeder Familie gab es damals jemanden, der in der Kohle tätig war. Zu DDR-Zeiten war es für meine Schüler sehr attraktiv, spätestens nach der 10. Klasse abzugehen und in der Kohle anzufangen.
Das Wort „MASCHINIST“ stand bei vielen meiner damaligen Schüler als Berufswunsch fest, denn in der „KOHLE“ – das wusste jeder – konnte man gutes Geld verdienen. Also wurde man MASCHINIST für Tagebaugeräte, Brikettierung oder eben für Kraftwerksanlagen. Für letzteren Ausbildungsberuf war aber schon ein etwas besseres Schulzeugnis erforderlich. Die SCHULABGÄNGER DER WENDEJAHRE hatten es dagegen weitaus schwerer, ihren Platz im Berufsleben zu finden.

Schornsteine_resize.jpg

Am 24. Juni 2000 fielen die beiden "LEUCHTTÜRME" des einstigen Kraftwerkes in SCHUTT & ASCHE.
Viele SCHAULUSTIGE hatten sich, von der Wache 2 in der Briesker Straße aus, auf einen 20-minütigen Fußweg zur festgelegten Sicherheitslinie begeben,
um die Sprengung der Stahlbeton-Schornsteine mit einem Gewicht von je 2936 Tonnen zu verfolgen.
Die Sprengmeister hatten rund 200 Bohrlöcher gesetzt und mit ca. 40 kg Sprengstoff gefüllt.
Exakt um 12.40 ertönte ein langer Signalton:
„Achtung, es wird gesprengt !“ Kurz darauf – zwei kurze Signaltöne „Achtung, es wird gezündet !“
Um die Aufprallerschütterungen zu minimieren, wurden die beiden Schornsteine in einem Zeitabstand von 5 Sekunden gesprengt.
Es dauerte nur wenige Augenblicke und die beiden „Riesen“ kippten wie in Zeitlupe -
und schlugen der Länge nach, wie zwei gefällte Riesenbäume, in einer rotbraunen Staubwolke auf – verabschiedeten sich endgültig von dieser Welt.
Fast alle SCHORNSTEINE in unserer Region sind auf diese Art und Weise inzwischen vom Erdboden verschwunden.
Das nützt sicher der Umwelt, jedoch gingen dadurch Teile einer Vergangenheit für immer verloren, die die Menschen im „KOHLENPOTT“ dauerhaft geprägt hatten. Eine SPRENGLADUNG reißt nicht nur einen Schornstein mit, sondern auch ein Stück gelebtes Leben.
Wie stark die Menschen mit ihrer Arbeit und den Orten ihres Schaffens verbunden waren, wird gerade bei solchen Ereignissen deutlich:
19. Mai 2001: Sprengung des MASCHINENHAUSES
18. August 2001: Sprengung des KESSELHAUSES
16. März 2002: Sprengung der KÜHLTÜRME

Und auch für das >BLAUE WUNDER< am Lausitzring schlägt scheinbar schon das „Totenglöcklein“…

HUMOR ist, wenn man trotzdem lacht:

Bei einem KLASSENTREFFEN witzelte ein ehemaliger Schüler:
„Immer dann, wenn im Kraftwerk aus dem Überdruck-Ventil der Dampf in den Himmel geschleudert wurde,
konnte man im Klassenraum minutenlang sein eigenes Wort nicht verstehen.
Ein Lehrer-Schüler-Gespräch war unmöglich.
DAS WAR KLASSE…!“
:D

ÜBRIGENS waren die riesigen SCHORNSTEINTÜRME auch das AUSHÄNGESCHILD der >BRIESKER KNAPPEN<

BSG_resize.jpg

Klaus
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Re: Neues 384 - 2019-07-28

Beitragvon Klaus » Mo 29. Jul 2019, 13:58

Hier muss ich als jemand, dem nur 2 Monate an 40 Jahren Bergbauzugehörigkeit fehlen und der davon 8 Jahre seinen Arbeitsplatz in einer Baracke direkt neben dem Briesker Kraftwerk hatte, etwas ergänzen:
Wenn Harald sich sein Schmuckbrikett ganz genau angesehen hätte und auch ganz unten das Foto rechts, dann hätte er direkt neben den beiden hohen Kraftwerkschornsteinen noch einen kleineren bemerkt.
Das war der Schornstein der Feuergasanlage. Wir Bergleute waren eigentlich stolz auf unsere Anlagen. Das traf aber nicht auf die Feuergasanlage zu. Diese diente meines Wissens der zusätzlichen Trocknung von Rohbraunkohle, weil in Brieske die Kapazitäten der Röhrentrockner nicht ausreichten. Es war unter uns in Brieske Beschäftigten Konsens, dass aus dem Schornstein dieser im Lausitzer Revier einzigartigen Anlage giftige Gase in die Luft geblasen wurden. Welcher Art und in welcher Menge wussten wir nicht. Zu DDR-Zeiten wurde wie üblich nur leise unter Kumpeln darüber gemeckert, mit der Wende dann ganz lautstark die Stilllegung dieser Anlage gefordert. So war diese Feuergasanlage wohl das erste Objekt im Briesker Territorium, welches stillgelegt wurde.
Die von Harald erwähnten beiden kleinen Schornsteine links wurden schon zu DDR-Zeiten nicht mehr benötigt und abgerissen, da die Brikettfabriken den Prozessdampf vom Kraftwerk bezogen. Da sie jeweils direkt neben den zugehörigen Brikettfabriken standen, konnten sie nicht gesprengt werden. So erfolgte der Abriss manuell. Es wurde von oben nach unten in vielleicht einem Meter Abstand zwei Spalten in den Schornstein geschlagen, etwa lang wie der Arbeiter groß war. Vielleicht auch nicht so lang, man konnte von unten nur grob schätzen. Dann wurde das zwischen den beiden Spalten liegende Ziegelwandstück vom Arbeiter in den Schornstein gestürzt, damit es nicht nach außen fiel. Dabei kam es leider zu einem tödlichen Unfall, da der Verunglückte vermutlich zu stark geschoben hatte und hinterherstürzte.

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Harald
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Re: Neues 384 - 2019-07-28

Beitragvon Harald » Mo 29. Jul 2019, 15:15

Danke, Klaus, für diese sehr wichtigen INFORMATIONEN, die allerdings nur jemand geben kann, der zeitnah VOR ORT gewesen ist, darüber hinaus ein >MANN VOM FACH<, dem wir natürlich in solchen Fällen und zu jeder Zeit (sogar blind) vertrauen.
Ich muss zugeben, schon beim Betrachten der SCHORNSTEINE herumgerätselt zu haben, was es mit diesem SCHORNSTEIN-WINZLING auf sich haben könnte.
Durch Deine Erklärungen sind wir nun wieder etwas schlauer geworden. Danke nochmals für das FAKTENMATERIAL ! ;)


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