Obwohl der >Senftenberger Anzeiger< während seines jahrzehntelangen Bestehens neben traditionellen Berichten aus Politik, Wirtschaft und Sport, sowie vielen interessanten Regional~ & Lokalnachrichten auch der Anzeigen-Werbung viel Platz zur Veröffentlichung bot, war ich bei meiner Suche nach einem
INSERAT irgendeines
SEDLITZER LADENS schon der Verzweiflung nahe.
Doch dann entdeckte ich wider Erwarten die oben stehende
MITTEILUNG in einer Ausgabe vom Januar 1934.
Schon auf den ersten Blick lässt sich unschwer erkennen, dass nach Hitlers Machtantritt im Januar 1933 die „Epoche der Gleichschaltung“ auch die
HANDELSEINRICHTUNGEN nicht verschonte. Der
KONSUM und diverse
WOHLFAHRTSEINRICHTUNGEN wurden in
KONKURS getrieben und deren
LÄDEN meistbietend verhökert – im Fall
SEDLITZ ein
KONSUM an einen zukünftigen
KOLONIALWARENHÄNDLER.
Dies verschafft mir nun die Gelegenheit, nachdem ich dieses Thema unter „Neues 345" nur kurz gestreift hatte, etwas ausführlicher auf die
KOLONIALWARENLÄDEN
meiner Kindheit einzugehen.
In der ersten Hälfte des 20.Jahrhundert wurden die
GRUNDNAHRUNGSMITTEL sowie Seife, Waschmittel u.a. Haushaltsbedarf in kleinen
LADENGESCHÄFTEN erworben, die sich „um die Ecke“, also in Wohnungsnähe befanden und zu deren
GESCHÄFTSINHABERN, der sprichwörtlichen "Tante Emma", eine sehr vertraute Verbindung bzw. wichtige Gesprächsplattform bestand.
Es herrschte ein fester
PERSÖNLICHER KONTAKT, Neuigkeiten wurden ausgetauscht, private Sorgen und Freuden geteilt.
Je nach Kundenkreis waren diese
>TANTE-EMMA-LÄDEN< in ländlicher Umgebung oder in den Vororten und Arbeiterquartieren regelrechte
GEMISCHTWARENLÄDEN, während sie in den Städten gern als
DELIKATESSENGESCHÄFTE auftraten und Waren aus fremden exotischen Ländern, überwiegend überseeische Lebens~ & Genussmittel wie z.B. Tabak, Reis, Kakao, Kaffee, Tee, Südfrüchte und Gewürze anboten,
- eben
KOLONIALWAREN.
Ich erinnere mich sehr oft und gern an
>KOLONIALWAREN Johannes Lau< in der Klettwitzer Straße in meinem Geburtsort Senftenberg II,
wo ich gelegentlich für meinen Großvater
KAUTABAK, für die Großmama diversen
KLEINKRAM und für mich
KITIFIX-KLEBSTOFF einkaufen durfte.
Die auf den Plantagen der
KOLONIEN angepflanzten
ROHSTOFFE wurden nach Europa exportiert, um dort entweder weiterverarbeitet
(z.B. Kakaobohnen zu Schokolade) oder direkt verkauft zu werden: Kaffee aus Brasilien, Tee aus Kenia, Zucker aus Kuba, Reis aus Vietnam, Kakao von der Westküste Afrikas oder Zigarren aus Indonesien. Aus
LUXUSARTIKELN für wenige Betuchte wurden schließlich
GENUSSMITTEL für alle Bevölkerungsschichten.
Nachdem Deutschland 1884 zur Kolonialmacht geworden war, kam es zu zahlreichen Firmen- und Geschäftsgründungen. Der Besitz eigener Kolonien wurde als besonders vorteilhaft angesehen, da die Kolonialwaren zoll- und steuerbegünstigt direkt von deutschen Plantagen geliefert werden konnten. Ende des 19. Jahrhundert waren Produkte deutscher und europäischer Kolonien wie Kaffee, Schokolade, Bananen, Zucker und Reis aus dem Alltag kaum noch wegzudenken.
Baumwollprodukte hatten das heimische Leinen verdrängt und vor allem die Auto~ und Fahrradproduktion wäre ohne Kautschuk kaum möglich gewesen.
Fremde Güter bildeten nebenher auch die Basis für eine
NEUE ALLTAGSKULTUR. Mit der Ausweitung des Lebensmittelsortiments entwickelten sich neue
KONSUMGEWOHNHEITEN, wie beispielsweise das berühmte Kaffeekränzchen, die Tea-time oder das Rauchen der Tabakspfeife.
Feilgeboten wurden die
WAREN bei fahlem Licht und wundersamen Gerüchen in den
KOLONIALWARENGESCHÄFTEN, deren Bezeichnung untrennbar verknüpft ist mit dem Zeitalter der Kolonien, das in Deutschland seinen Höhepunkt erst im Kaiserreich erreichte.
Die
INNENEINRICHTUNG dieser
KOLONIALWARENLÄDEN bestand meist aus Theke, Fliesen, Lampen, raumhohen Regalen, Schubladen mit „loser Ware“, wie Getreide, Bohnen, Linsen, Rosinen und getrocknetes Obst. Der überwiegende Teil dieser edlen Produkte wurde auch lose angeboten, von den Kaufleuten individuell von Hand abgefüllt und verpackt. Zum Abmessen der gewünschten Mengen diente die
WAAGE auf dem Verkaufstresen.
Später erweiterten die meisten Kolonialwarenhändler ihr
SORTIMENT und boten auch hiesige Alltagsprodukte an: Bier, Wurst, Gurken und Kraut aus dem
FASS, aber auch Seifen und Waschmittel.
In
GLASKÄSTEN präsentierten die Kaufleute neben Genussmitteln wie Kaffee, Tee und Süßigkeiten auch Butter, Käse und Wurstwaren.
In den
SCHUBLADEN warteten loses Getreide, Zucker, Nudeln, Linsen, Erbsen oder Graupen auf die Kundschaft.
Essig und Senf lagerten in Gefäßen aus
STEINGUT. Vor dem Tresen ergänzten
SÄCKE mit Kartoffeln,
KISTEN mit Obst und Gemüse und
FÄSSER mit Heringen oder Sauerkraut das Angebot. Zusätzlich wurden in diesen Läden auch Wasch- und Putzmittel, Haushaltsutensilien, Eisen- und Papierwaren, Geschirr und teilweise sogar Schuhe und Kleidung verkauft.
Verpackt wurden die eingekauften Waren in
PAPIERTÜTEN,
SCHACHTELN oder
ZEITUNGSPAPIER.
Wer passendes Münzgeld dabei hatte, konnte dieses direkt in den Kassenschlitz im Verkaufstresen werfen.
Bis in die siebziger Jahre hießen im Westen Deutschlands die „Tante-Emma-Läden“ ab und an noch Kolonialwarenläden – und wer weiß denn heute noch, dass die Abkürzung der Supermarktkette
EDEKA (gegründet 1898) für
>Einkaufsgenossenschaft der KOLONIALWARENHÄNDLER im Halleschen Torbezirk zu Berlin< steht?
Und noch eine interessante, wahrlich frappierende
STATISTIK aus unserer lokalen Historie:
Im letzten >Einwohnerbuch< von 1941 waren allein für das
STADTGEBIET SENFTENBERG49 Lebensmittelgeschäfte
plus 10 Obst~ & Gemüseläden gelistet – darüber hinaus noch
30 Bäckereien/Konditoreien und 24 Fleischereien.