Ob die als
VOLKSFEST deklarierte
FAHNENWEIHE letztendlich auch hielt, was die
EINLADUNG samt
ABLAUFPLAN versprach, erfahren wir aus der
NACHBETRACHTUNG im >Senftenberger Anzeiger< vom 22. Mai 1922:
"Festlich geschmückt war am Sonntag, 14. d. M. unsere schöne Kolonie.
Die SCHÜTZENGILDE wollte ihre Fahne weihen und hatte aus diesem Grunde die Gilden von fern und nah geladen.
Schon am Sonnabend fanden sich Delegierte verschiedener Gilden ein, um das Fest mit einem KOMMERS einzuleiten. In liebenswürdiger Weise hatte sich die Gilde Senftenberg bereit erklärt, bei Einholung der fremden Gäste ihren Marga-Kameraden behilflich zu sein und führte die Gilden gegen 11 Uhr nach Marga.
Es war ein herrliches Bild, das sich unseren Augen darbot.
Im Zuge befanden sich ungefähr 20 Fahnen, darunter einige, die wohl schon über 400 Jahre alt waren. In Marga wurden die Gilden von der festgebenden Gilde in Empfang genommen und nach dem MARKTPLATZ zum Abbringen der Fahnen geleitet. Unter den Klängen des alten Präsentiermarsches wurden die Fahnen in ihren Stand gebracht.
Jung und alt war auf den Beinen; alles drängte sich in den GASTHAUSGARTEN,
den man für diesen Tag >SCHÜTZENGARTEN< benannte.
Während der Paroleausgabe konzertierte die Kapelle auf dem Marktplatz.
Gegen 1 Uhr wurde zum Antreten geblasen und Aufstellung in der Viktoriastraße genommen. Unter Vorantritt der Kapelle wurde die Fahne, die von den Ehrenjungfrauen getragen wurde, und die Ehrengäste abgeholt. Nach Abholung der 29 Fahnen wurde Aufstellung auf dem MARKTPLATZ genommen. Herr Bergwerksdirektor Fischer hielt als Vertreter der Ilse die Begrüßungsansprache und hieß die Gilden in den Mauern der Grube Marga herzlich willkommen. Herr Direktor Klitzing ergriff das Wort zu längerer Rede, in der er zum Schluß die Fahne weihte. Nach der Weiherede übernahm der Kommnadeur der Gilde die Fahne und übergab dieselbe mit kräftigen deutschen Begleitworten dem Fahnenträger.
Hierauf begann der FESTZUG durch den Ort, an dem sich 31 Gilden und Ortsvereine beteiligten; dieser imposante Anblick wird vielen unvergessen bleiben.
Am Sonntag vormittag fand auf dem Schießstand ein PREISSCHIESSEN statt...
Wir rufen allen Kameraden, die uns mit ihrem Besuche beehrt haben,
ein herzliches >GUT SCHUSS< zu."
Um sich auf eine solch große
FESTLICHKEIT "einzuschießen", bedarf es wohl noch eines kleinen
FAKTEN-CHECKS:
(1) SCHÜTZENGILDENIhre Entstehung ist einst sehr ernster Natur gewesen. Sie waren eine Nachahmung des Rittertums und bildeten sich zuerst durch Verbrüderung der mit Schießgewehren,
Bogen und Armbrüsten bewaffneten Bürgerschaft. Sie bestanden hauptsächlich aus Meistern, Gesellen und Lehrlingen, die sich bei Turnieren in Mut, Kraft und Gewandtheit übten, speziell im Schießen mit der Armbrust.
Nach den ältesten Gildestatuten waren Ansässigkeit am Orte und unbescholtener Lebenswandel Hauptbedingungen zur Aufnahme in dieselbe.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatte sich das ehemalige Bild der Gilden bis zur Unkenntlichkeit verändert. Sie erlagen nur noch den friedlichen, angenehmen und erheiternden Genüssen:
Ihre Fahnen galten als schöne Stickereien in Gold und Silber,
nicht mehr als Symbol kriegerischer Vereinigung auf Leben und Tod. Das Schießen nach verschiedenen Scheiben und Zielen war keine Übung zum Untergang des Feindes,
sondern nur noch eine Belustigung und Erholung. Ihre Musik rief nur noch äußerst selten unter dem Deckmantel der Vaterlandstreue zum Blutvergießen auf,
dafür um so häufiger zu fröhlichem Speis, Trank und Tanz.
Einzig und allein bei der
FAHNENWEIHE wehte noch ein Hauch von uralten Ritualen über den
SCHÜTZEN, gekleidet in teils recht operettenhaft wirkenden Uniformen.
(2) FAHNENWEIHESie war das mit großem Gepränge begangene militärisch-religiöse Fest, welches von der Truppe (später auch diversen Vereinen der Knappen, Handwerker, ihrer Gesellen, Sänger, Turner u.v.a.m.) deren neue Fahne eingeweiht werden sollte, meist im Beisein hoher Gäste gefeiert wurde.
Dabei nahm der Akt der Erteilung des kirchlichen Segens an die neue Fahne, als Wahrzeichen einer christlichen Truppe, einen hohen Stellenwert ein. Anschließend wurde ein
FAHNENBAND aus kostbarem Seiden~ oder Samtstoff mit reichen Gold~ und Silberstickereien, sowie Fransen & Quasten an der Fahne befestigt,
sowie
FAHNENNÄGEL aus edlem Metall in die Fahnenstange eingeschlagen.
Vorläufer der
TRUPPENFAHNE waren in grauer Vorzeit an einer Stange befestigte und in die Luft emporragende grüne Zweige oder Heubündel, später Tierbilder: Stier, Pferd, Löwe, Bär, Eber, Sperling, Kranich, Adler und oft ein furchteinflößender Drache.
Dies waren die Zeichen, woran sich die ersten Krieger erkannten, wodurch sie Freund von Feind unterschieden. Je größer die Haufen der Streitenden wurden, je mehr der Zusammenstoß an Heftigkeit, der Kampf an Ausdauer und Beharrlichkeit gewann,
desto unentbehrlicher wurden auffallende
MERKZEICHEN, damit die Kämpfer im Gewirre des Handgemenges sich nicht mehr nur auf den eigenen Instinkt verlassen mussten, sondern durch einen Blick auf das jeweilige Kampfzeichen orientieren konnten.
Daraus entwickelte sich im Laufe der Zeit die
FAHNE, ein auf einer Stange oder Spieße befestigtes und flatterndes, meist kostbares, viereckiges Stück Seide oder Tuch mit symbolischer Stickarbeit geziert - anfangs die schon erwähnten Tierbilder, später Wappen.
Getragen wurde sie übrigens seit dem Mittelalter vom
FÄHNRICH,
einem besonders tapferen und zuverlässigen Mann.
Dieser musste bei seiner "Vereidigung" schwören, Leib und Leben bei der Fahne zu lassen, sich erforderlichenfalls daran einzuwickeln und so dem Tode zu weihen,
weshalb er auch einen höheren, zuweilen den sechsfachen Sold bekam.
Dieser Umstand erinnert mich kurioserweise an das abschließende,
recht zweifelhafte >Ritual< jugendlicher, von der Schulleitung "verdonnerter"
BANNERTRÄGER bei den alljährlichen
MAIDEMONSTRATIONEN.
Unmittelbar nach Auflösung des Marschzuges wollten sich die meisten ihrer
FAHNE recht schnell entledigen und taten dies mit der Bitte an den Nebenmann:
"Kannste das >DING< mal für einen kleinen Moment halten,
ich muss mir mal die Schnürsenkel neu binden ?"
Sprach's - händigte das
>BANNER< aus - und verschwand auf Nimmerwiedersehen in der Menge. Eingewickelt wurde dabei auch, allerdings nur der ahnungslose Nebenmann.
Feine Kollegen...!