Im Februar 1907 rauschte folgende Nachricht im "Zeitungsblätterwald" des Niederlausitzer Braunkohlenbezirks:
"Das größte Kohlenwerk im Senftenberger Industriebezirk , die
ILSE Bergbau-AG,
hat ihre Produktion wesentlich erhöht...
Wie wir bereits melden konnten, gelang es, etwa 10 km von unseren bestehenden Werken entfernt, in den in nächster Nähe von Senftenberg gelegenen Gemarkungen Brieske und Hörlitz ein etwa 750 ha großes Kohlenfeld zu erwerben. Dieses Grubenfeld wurde bei der Kgl. Bergbehörde unter dem Namen
>MARGA< angemeldet.
Für dessen Abbau sind die Vorarbeiten schon im lebhaften Gange..."
Für dieses große Vorhaben wurden natürlich sehr viele Grubenarbeiter benötigt,
die man vor allem in Osteuropa rekrutierte. In den flugs errichteten Barackenlagern tummelten sich kurz darauf "Glücksritter", so auch mein Großvater aus Westpreußen. Weitere Arbeitssuchende kamen aus Ostpreußen, Schlesien & Galizien (südlichster Teil Polens an der ukrainischen Grenze) und sogar aus Bosnien.
Sie wurden natürlich nicht nur von der >ILSE<,
sondern auch von einheimischen Geschäftsleuten sehnsüchtig erwartet.
Ein halbes Jahr nach Grubenaufschluss (September 1907) warb bereits eine
KANTINE mit lukrativen Speisen~, Getränke~ & Unterhaltungsangeboten bei der Arbeiterschaft.
Dass dieses Vielvölkergemisch natürlich reichlich Spannungen erzeugen würde,
war voraussehbar. Kein Wunder also, dass die
KANTINE in einem Atemzug mit ihren scheinbaren "Nachfolgeeinrichtungen" wie
KRANKENHAUS, AMTSGERICHT & GEFÄNGNIS genannt wurde.
Nachlesen kann man das in den einstigen Tagesmeldungen des >Senftenberger Anzeiger< :
28.02.1911:"Ein recht bedauernswertes LIEBESDRAMA hat sich gestern
abends 9 Uhr in der Waschküche der KANTINE des Herrn Mamok hierselbst zugetragen.
Der 21-jährige Abraumarbeiter Johann Eggert aus Ostpreußen hatte mit der Nichte des genannten Kantinenwirts ein Liebesverhältnis, welches einem Briefe des E. nach verschiedentlich unterbrochen wurde und schließlich in maßlose Eifersucht
seitens des E. ausartete.
Am gestrigen Abend nun bewaffnete sich E. mit einer Browning-Pistole und drang in die Waschküche ein, wo das betr. Mädchen beschäftigt war. Er näherte sich ihr scheinbar zärtlich und versuchte, sie um die Taille zu fassen. Im nächsten Augenblick krachte ein Schuß und das Mädchen hatte eine lebensgefährliche Wunde erhalten.
Durch die Aufregung fast von Sinnen geworden, rannte E. in den Wald und gab dort noch
2 Schüsse auf sich selbst ab, wovon einer in die linke Schläfe ging und ihn sofort tötete. Nach längerem Suchen fand man den Leichnam , bei dem auch die Pistole
mit noch 3 Schuß lag.
Das bedauernswerte Mädchen wurde sofort nach dem GROSSEN KRANKENHAUSE in Senftenberg transportiert, wo sie hoffentlich wieder genesen wird.
E. hatte zwei Briefe hinterlassen, einen an die Behörde und einen an seine Eltern,
welche in Ostpreußen wohnen und denen der Brief zugestellt wurde."
26.05.1911:"Am Himmelfahrtstage saßen in der M.'schen KANTINE mehrere galizische Arbeiter, von denen einer im Verlaufe eines Wortwechsels eine Bierflasche ergriff und einen anderen damit auf den Kopf schlug, sodaß der Verletzte nach dem GROSSEN KRANKENHAUSE in Senftenberg transportiert werden mußte. Der Schläger wurde festgenommen und dem Amtsgerichtsgefängnis Senftenberg eingeliefert;
er hat schon mehrere Straftaten auf dem Kerbholz."
Abraum Marga /
12.09.1911"Ein noch nie dagewesenes Stück gröbster AUSSCHREITUNG
wurde von mehreren erst am Sonnabend zugereisten Bosniern vorgestern hier verübt.
Der Wirt hatte Feierabend geboten und während die Galizier das Schanklokal verließen, blieben 7 Bosnier sitzen, in welcher Absicht lehrte sehr bald ihr Auftreten.
Der Wirt drehte die Lampen aus und sogleich flogen Tische, Stühle, Gläser, Flaschen
gegen ihn und seine Frau, die mit Beulen bedeckt zum Glück noch durch ein Nebengelaß hinauskommen konnten.
Währenddem verriegelten die Täter innen die Türen. Draußen gellten Hilferufe und wer sich von den herbeigeeilten beherzten Männern mit Gewalt Eingang erzwang, erhielt Flaschen oder Gläser etc. gegen den Kopf. Endlich gelang der Angriff von 2 Seiten und es setzte nun natürlich entsprechende Vergeltung.
Der Inhalt der KANTINE bot ein Bild wüster Zerstörung.
Zahlreiche Fensterscheiben waren eingeschlagen, und Scherben von Hunderten von Flaschen und Gläsern lagen umher. Der Schaden ist sehr bedeutend. Beulen, tiefe Löcher und zerfetzte Kleider gab es auf allen Seiten, denn auch die üblichen Dolchmesser der Bosnier taten ihre Schuldigkeit. Einige der Täter rückten aus und verbargen sich in einer NACHBARKANTINE.
Der benachrichtigten berittenen und Fußgendarmerie gelang es, die 7 Haupttäter zu ermitteln und festzunehmen, nachdem 6 derselben ärztliche Hilfe erhalten hatten.
Zwei sind so verletzt, daß sie als Polizeigefangene dem GROSSEN KRANKENHAUSE zugeführt werden mußten, während die verbleibenden 5 gestern per Wagen eskortiert,
dem Gerichtsgefängnis eingeliefert wurden.
Von der Gegenpartei sind außer den Wirtsleuten 5 Galizier verwundet.
Es dürfte wohlverdiente schwere Strafen setzen und so werden diese zweifelhaften bosnischen Elemente nach der Strafverbüßung schon einen Begriff von deutscher Ordnung bekommen, wenn sie nachher in ihre Heimat abgeschoben werden.
Einer der beiden im KRANKENHAUSE untergebrachten Schwerverletzten wollte heute Mittag durch ein Fenster entweichen, wurde aber durch Festnahme und Einlieferung ins Gefängnis daran verhindert.
Der andere ist so schwer verletzt, daß er wahrscheinlich kaum mit dem Leben davonkommen wird. Uebrigens sollen einige Täter unter falschen Namen reisen.
Man scheint es also hier mit einer Bande schwerer Jungen zu tun zu haben."
Was uns noch Kopfzerbrechen verursacht, ist die Frage nach dem genauen Standort der ehemaligen
>CANTINE< auf Grube Marga.
In einem Inserat des >Senftenberger Anzeiger< fand ich lediglich den Zusatz
"bei Brieske" (ganz sicher war das Dorf Brieske gemeint).
Interessanterweise existierten laut Inserate aus dem Jahre 1908 schon zwei verschiedene "Kneipen" des Kantinenwirts
JAESCHKE - oder war es nur eine mit 2 unterschiedlichen Bezeichnungen ? Sehr merkwürdig !
Für stichhaltige Auskünfte sind wir jederzeit empfänglich...
