Kinder bevorzugen wohl seit jeher
ABENTEUERSPIELPLÄTZE für ihre Freizeitgestaltung.
Im Unterschied zu den heute überwiegend künstlich errichteten Spielplätzen, befanden sich die meiner Kindheit unweit unserer Wohnstatt in der näheren Umgebung, einer
LANDSCHAFT, welche außer Straßen und Höfen der Arbeitersiedlung zum Glück auch
HOHE BERGE (ehemalige Weinberge & Tagebaukippen) und
TIEFE TÄLER (ausgekohlte Tagebaugruben) zu bieten hatte. Wichtig für uns war allerdings nur, dass wir gelegentlich den gestrengen Blicken unserer Eltern und Großeltern entfliehen konnten. Was mich heute doch sehr nachdenklich stimmt, ist die Tatsache, dass wir damals in der Nachkriegszeit augenscheinlich gern "Kriegsspiele" veranstalteten, obwohl nicht wenige unserer Spielkameraden ihre Großväter, Väter, Onkels im zurückliegenden Krieg verloren hatten. So weit reichte dann wohl unser Verstand doch noch nicht aus, denn darüber verschwendete keiner auch nur einen Gedanken - vielleicht auch, weil gottlob nur wenige Ruinen das Ortsbild prägten...
Unser Aktionsfeld waren neben Kippen & Gruben die inzwischen schon legendären, weil unwiederbringlichen, westlich von Senftenberg gelegenen HÖRLITZER ALPEN, deren Namensgebung im Dunkel liegt.
Ich kann mir aber durchaus vorstellen, dass sie ihren Namen bekamen, weil sie als beliebtes Wintersportgelände mitnichten unser winziges Garmisch-Partenkirchen darstellten...
Am nördlichen Ende Senftenbergs gab es nun die ebenfalls legendäre Erhebung
HÖHE 304. Dieser Ausdruck hatte von vornherein schon etwas Militärisches an sich, denn in den Kriegserzählungen war immer mal die Rede von Brückenköpfen und Anhöhen, die es einzunehmen galt. Rätselhaft war allerdings, dass die ehemaligen
RAUNOER WEINBERGE nur 159,1 m über NN als maximale Höhe aufwiesen.
Im Volksmund bekam die
HÖHE 304 ihren Namen angeblich, historisch allerdings nicht verbrieft, von ehemaligen Kriegsteilnehmern nach einer im 1. Weltkrieg hart umkämpften Erhebung vor Verdun (Frankreich).
An diesem Brennpunkt der Westfront, am Westufer der Maas gelegen, wurden 1916/17 in einer horrenden Materialschlacht rücksichtslos und unsinnig Tausende Menschenleben französischer und deutscher Soldaten geopfert. Sie starben in einer Todesmaschinerie aus Artilleriefeuer, MG-Garben, Flammenwerfern & Giftgas. Zurück kamen unzählige verkrüppelte und für ihr Leben entstellte junge Männer.
Gestatten Sie mir an dieser Stelle, nochmals den Schriftsteller
HORST MÖNNICH zu erwähnen, der in seinem Buch >Mein Jahrgang< von einem Wandertag zur Raunoer HÖHE 304 berichtet, den sein Mit-Gymnasiast Przybilla organisierte, da dieser im Besitz einer Lausitzer
WANDERKARTE war:
"Die ZIEGENBERGE* waren frei von Einzeichnungen, hier war unberührtes Gebiet. Es mochte etliche Quadratkilometer groß sein. Zwar hatte sich die Industrie von allen Seiten bis an seinen Rand vorgeschoben, aber der Einbruch auf breiter Front war ihr verwehrt geblieben...
Er führte uns in dieses unangetastete Fleckchen Erde, eine Art Naturschutzgebiet, am Rand von Schonungen entlang, Bachläufe hinauf, die mit grünen Moospolstern ausgeschlagen waren...
Und dann die HÖHE 106**. Bald sahen wir die Spitze eines Holzgerüstes - ein trigonometrischer Punkt, das Dreibein zu gravitätischem Schritt gespreizt - über dem Jungwald aufsteigen, der hügelauf und hügelab uns schon eine Weile begleitete. Es mochte noch ein guter Kilometer bis dorthin sein...
Spät am Abend, als es schon dunkelte, kehrten wir heim. Noch nie hatten wir einen solchen Wandertag erlebt. Wer hatte gewußt, daß es in unserer Gegend noch Bezirke gab wie die ZIEGENBERGE*, und wer hatte geahnt, daß es in einer simplen OBSTWEINSCHÄNKE so gemütlich sein konnte..."

Bis 1945 existierte ein kleines Ausflugslokal wenige Schritte vom Aussichtspunkt entfernt, die sogenannte Karrasche Gaststätte auf der Höhe 304. Eigentümer war die Ilse Bergbau AG. Dieses Lokal war sehr beliebt. Bei Kaffee & Kuchen oder einem Bierchen hatte man von der Veranda aus einen herrlichen Weitblick über die Stadt bis hin zum Koschenberg, sowie zum Lautawerk und bei schönem Wetter sogar bis zu den Kamenzer Bergen.
In besagter Gaststätte war es deshalb so gemütlich, weil eine Mädchenklasse vom Lyzeum das gleiche Wanderziel angesteuert hatte, und man nach den vom Musiklehrer am Klavier gespielten Schlagermelodien gemeinsam das Tanzbein schwang.
Als es 1957 zu einem unerwarteten Wiedersehen zwischen HORST MÖNNICH und Przybilla kam, erzählte dieser von einer Lagebesprechung in den letzten Kriegstagen an eben dieser HÖHE 304:
"Ich holte meine alte Wanderkarte hervor, eine so genaue Karte besaßen sie nämlich nicht. Sie hatten möglicherweise noch Karten aus Rußland in ihren Wagen oder von Frankreich, sie hätten sich dort auch ohne Karte zurechtgefunden, aber in der LAUSITZ...
Gegen Abend hatten wir die HÖHE erreicht und wir zogen an der alten Eiche vorbei, wo die Namen von 20 Tertianern eingeschnitten waren...
Als der Morgen graute, knallte es plötzlich. Wir fuhren hoch aus unseren Löchern. Der Kiefernwald, in dem wir uns eingegraben haben, splittert auseinander. Die Frauen wimmern, und die Kinder schreien. In den Baumkronen krepieren Artilleriegeschosse...Ich lief an den Rand des Wäldchens. Es begrenzt eine Wiese, die ein bis zwei Kilometer lang und fast ebenso breit und ohne Baum, ohne Gesträuch, ohne Graben, ohne jede Deckung und flach wie ein Brett ist. Wir sind damals, als ich euch das erstemal in die ZIEGENBERGE* führte, an ihrem Rand entlanggezogen, noch unterhalb von HÖHE 106**...Sie sah aus wie ein riesiger Fußballplatz, mit den Hochsitzen am Waldsaum rechts und links als Tribünen..."
Hier schließt sich der historische Kreis. Der HÖHE 304 in Rauno einen militärischen Hintergrund zu geben, war also gar nicht so abwegig, denn auch hier wurde einst sinnlos Blut vergossen...
und daran sollten wir uns gerade in Friedenszeiten erinnern !
* Raunoer Weinberge
** Höhe 304