Urkundenfälschungen des Mittelalters
Bis mittelalterliche Urkundenfälschungen als solche enttarnt waren, das hat oft Jahrhunderte gedauert. Es ist sogar davon auszugehen, dass noch in zahlreichen Archiven eine stattliche Anzahl an Urkunden verwahrt wird, deren Echtheit bisher nicht hinterfragt wurde, die aber vor Hunderten von Jahren gefälscht wurden (Peter Rückert, Landesarchivdirektion Baden- Württemberg).
Die formale Spannweite reicht von der
- korrekten Nachzeichnung einer nicht mehr vorhandenen Urkunde über die –
- Aktualisierung älterer Texte in neuen äußeren Formen und Verfälschungen durch Veränderungen im ursprünglichen Textbestand
- bis hin zu kompletten Neuschöpfungen von Urkunden, die ihre Echtheit nur vortäuschen.
Eine mittelalterliche Urkunde ist pauschal erstmal eine verschriftlichte Quelle, eine optische und eine inhaltliche. Daneben gibt es noch, und diese Quellen wollen wir bei diesem Artikel komplett aussparen, schriftlose Dingquellen (Gebäude, Waffen, Schmuck, Gefäße, Geländeformen usw.) und abstrakte Quellen (Institutionen, Sprachen, Sitten usw.).
Gründe für Fälschungen waren insbesondere:
Gewohnheitsrechte wurden (mal eben schnell) schriftlich fixiert, um sie anderen als Recht zu verkaufen.
In aller Regel aber geht es um den Nachweis von Besitzrechten, rechtmäßigen oder unrechtmäßigen, von Freiheiten und Privilegien, der zum Vorteil des Schreibers und seiner Institution dienen sollte– was meist wohl auch gelang.
(vgl. dazu etwa Boshof, „Gefälschte Stiftbriefe“)
Diplomatik- die Wissenschaft von der Urkundenlehre
Urkunde: In der Geschichtswissenschaft versteht man unter einer Urkunde aus diesem Zeitraum, also ungefähr aus der Zeit vom 3./4. Jahrhundert bis in das 18. Jahrhundert hinein eine nach Zeit und Person wechselnde Form schriftlicher Aufzeichnung, die Zeugnis über Vorgänge rechtlicher Natur bietet. Uns auf uns übergekommene Quellen sind immer nur eine Auswahl und damit nur Ausschnitte der Vergangenheit. Menschen haben Urkunden ausgewählt und andere vernichtet, oder Unglücke, oder Kriege.
Quellenkritik- untersucht die Umstände und Motivation einer Geschichtsquelle
Die Quellenkritik versucht festzustellen, unter welchen Umständen eine Geschichtsquelle entstanden ist, insbesondere wer sie wann mit welcher Motivation hergestellt hat, und bewertet ihre inhaltliche Zuverlässigkeit.
Quellen sind nicht objektiv. Sie sind Spuren der Vergangenheit, sie sind nicht die Vergangenheit selbst.
Eine Quelle ist IMMER subjektiv. Ihr zu vertrauen, oder nicht, hängt von dem subjektiven Empfinden des Menschen ab. Es reichen oft schon nur zwei Menschen um ein Schriftstück, eine gehörte Passage, eine gesehene Situation völlig anders zu bewerten, weil unsere erstrebte objektive Beurteilung von unserem subjektiven Charakter abhängig ist.
Dies gilt zunächst auch schon für das Denken allgemein. So hat besonders Hegel darauf aufmerksam gemacht, dass wir die Begriffe, die scheinbar feststehend nur das bezeichnen, was wir an den Dingen auch tatsächlich nachweisbar sehen und empfinden können, verflüssigen müssen, wenn wir denken wollen. Denken ist kritisches Auseinandersetzen.
Eine Quelle ist niemals aus sich selbst heraus einer bestimmten Quellenkategorie zugehörig und sie ist niemals an sich wertvoll oder wertlos, glaubwürdig oder unglaubwürdig. Derartige Aussagen können immer nur in Bezug auf definierte Fragestellungen getroffen werden. (propylaeum.de)
Darstellungen sind von Quellen streng zu scheiden – jedenfalls der Theorie nach.
wir unterscheiden:
Äußere Quellenkritik (also die meist erst optische Betrachtung einer Urkunde uä.)
1. Entspricht die äußere Form der Quelle […] der Form, die den als echt bekannten sonstigen Quellen derselben Art zur Zeit und am Ort der angeblichen bzw. […] angenommenen Entstehung unserer Quelle eigen ist […]?
2. Entspricht der Inhalt der Quelle dem, was uns sonst aus sicher echten Quellen […] bekannt ist […]?
3. Entsprechen Form […] und Inhalt dem Charakter und ganzen Milieu der Entwicklung, innerhalb deren die Quelle angeblich steht […]?
4. Finden sich in oder an der Quelle Spuren künstlicher, fälschender Mache, wie etwa unglaubwürdige, seltsame Art der Auffindung und Übermittelung […]?“
– Ernst Bernheim
Innere Quellenkritik
Die innere Quellenkritik bezieht sich auf die Frage nach der Qualität der enthaltenen Informationen. Durch Fragen nach der Autorenschaft, dem Adressaten, dem Sinnzusammenhang usw. soll insbesondere geklärt werden, wie nah die Quelle örtlich und zeitlich dem berichteten Geschehen steht. Es kann aber eine zeitlich wesentlich später entstandene Schilderung aber auch auf zuverlässigen zeitnahen, inzwischen aber verlorenen Berichten basieren.
„Wieviel konnte ein Verfasser von den von ihm berichteten Vorgängen wissen, und wieviel wollte er davon berichten?“
– Klaus Arnold
Fälschung ist nicht gleich Fälschung- zentrale Frage: warum wurde eine Urkunde gefälscht
Aus dem Mittelalter ist eine hohe Zahl an Urkundenfälschungen überliefert, die aber häufig zu großen Teilen auf gültigen Urkunden beruhen.
Die Diplomatik widmet sich besonders der Identifizierung von Urkundenfälschungen und den in ihnen enthaltenen echten und unechten Textbestandteilen (sog. discrimen veri ac falsi).
Das es Fälschungen gab, war zu allen Zeiten bekannt. Urkundenkritik ist auch schon im Mittelalter betrieben worden.
In keiner Epoche der Menschheitsgeschichte wurde bislang fleißiger „gefälscht“ als im Mittelalter.
- Die Urkunden der Merowingerkönige (spätes 5.–8. Jh. n. Chr.) gelten zu über zwei Dritteln als gefälscht! –
- Bei Karl dem Großen (herrschte 768–814) geht man von einer Quote von ca. 40-50 % aus (z.B. Reichenauer Fälscherschule). Bei seinem Sohn Ludwig geht man immerhin noch von rund einem Drittel der Urkunden aus, die tatsächlich Fälschungen sein dürften.
- Die „goldene Zeit“ der Urkundenfälschungen lässt sich jedoch im 12. Jahrhundert feststellen. Danach begann man, sich gegen dieses Phänomen zu wappnen: Nach dem Vorbild Papst Innozenz III. (1198–1214) wurden Register eingeführt, die jede aus- und eingehende Urkunde verzeichneten. Auf diese Weise konnten Fälschungen leicht entlarvt werden, und ihre Zahl nahm beständig ab.
- Das Privilegium Malus gilt als geschickteste Urkundenfälschung. Kurz gesagt geht es um die Privilegien, die aus österreichischen Herzögen, Erzherzöge machte.
- Es waren früher fast immer mündliche Geschäfte, die in der Regel per Eid besiegelt, damit rechtsgültig wurden. Die Urkunde, die dann über das Geschäft ausgestellt wurde, hatte lediglich zusätzlichen Beweischarakter.
Die Fälscherwerkstatt, im Kloster St. Maximin in Trier war aktiv und besonders vom 10. bis zum 12. Jahrhundert recht produktiv.
Wir wissen nicht, wie und in welchen Zusammenhängen gefälschte Urkunden vorgezeigt wurden, genauso wenig hören wir von Anklagen gegen Fälscher, einige prominente wie die des Papstes gegen Ramon Llull (1232–1316 n. Chr.) einmal ausgenommen.
Wie erfolgte technisch eine Fälschung:
In der Regel wurde abgekratzt. Man nennt es Palimpsets von palimpsestos „wieder abgekratzt“. Eine Manuskriptseite oder -rolle, die beschrieben war und von der durch Abschaben oder Waschen das Geschriebene wieder entfernt wurde, um sie erneut zu verwenden. Auch Tintenlöscher und Zitronensäure waren bekannt.
Der ursprüngliche Grund für dieses Vorgehen war ein herrschender Mangel an neuem Schreibmaterial.
Ab der christlichen Spätantike wurde für Bücher praktisch nur noch Pergament (nicht gegerbte Jungtierhaut) verwendet, weil ab dem 5. Jahrhundert Papyrus im Westen des Römischen Reiches sowie in dessen Nachfolgestaaten kaum noch verfügbar war (ägyptisches Exportverbot).
Besonders in der Mitte des 7. Jahrhunderts war Schreibmaterial unerschwinglich teuer, so dass man besonders in dieser Zeit Pergamentbücher palimpsestierte. Diesem Vorgang fielen in erster Linie antike Texte zum Opfer, die Platz machen mussten.
Die „Neufassung/ Fälschung“ ist eine Interpolation- von umgestalten, verfälschen, entstellen. Ihr Erkennen fällt oftmals auch deshalb so schwer, weil keine Fundstellen bekannt sind.