Neues 658 - 2025-09-21

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Matthias
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Neues 658 - 2025-09-21

Beitragvon Matthias » Sa 20. Sep 2025, 15:56

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Harald
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Re: Neues 658 - 2025-09-21

Beitragvon Harald » Fr 31. Okt 2025, 12:15

Einleitung_resize.jpg

Ab 2007 erforschte eine ARBEITSGRUPPE, die als wissenschaftliches Projekt bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung BB angesiedelt war, die LEBENSGESCHICHTE von SENFTENBERGERN, die während der NS-ZEIT aus religiösen, politischen o.a. Gründen verfolgt wurden. Anhand der damals in der >Lausitzer Rundschau< veröffentlichten RECHERCHE-ERGEBNISSE widme ich mich heute speziell dem THEMA:

Jd. Leben Titel.jpg

Die EXISTENZ JÜDISCHER BEWOHNER in unserer Heimatstadt SENFTENBERG lässt sich erst ab Mitte des 19. Jh. nachweisen.
Am 23. Dezember 1847 zog ein gewisser Philipp T e b r i c h , geboren in Bomst, von COTTBUS nach SENFTENBERG. Im Jahre 1858 lebten dann schon 9, im Jahre 1866 allerdings nur noch 2 JUDEN in unserer Stadt. Die ANZAHL JÜDISCHER BÜRGER veränderte sich ständig: die einen siedelten sich an & fanden hier ihre HEIMAT, während andere SENFTENBERG nach kurzer Zeit wieder verließen, da die NIEDERLAUSITZ, für viele von ihnen nur eine Durchgangsstation auf dem Weg nach BERLIN darstellte.
Darüber hinaus gab es in SENFTENBERG weder eine SYNAGOGE, noch einen jüdischen FRIEDHOF, und wohl nicht einmal eine BETSTUBE, weshalb sich JÜDISCHE SENFTENBERGER sehr bald in der SYNAGOGENGEMEINDE COTTBUS wiederfanden, und ab 1902 auch an GOTTESDIENSTEN in deren prächtiger SYNAGOGE teilnahmen. Der jüdische Sakralbau wurde für 300 Gottesdienstbesucher gebaut und am 16. September 1902 eingeweiht, wurde 1938 Opfer der Novemberpogrome und ihre Ruine später abgetragen. Heute steht an jenem PLATZ die Einkaufstätte >Galeria Kaufhof<.
Damals wohnten von den 90 stimmfähigen GEMEINDEMITGLIEDERN in Cottbus 70, in Senftenberg 5, in Finsterwalde 4, in Spremberg 4, in Werben 2 sowie in Maust-Mühle, Altdöbern, Kirchhain, Klein-Räschen jeweils 1 Familie oder Person. 1924 gehörten zur Cottbuser Gemeinde 131 Mitglieder, 9 davon kamen aus Senftenberg.

Cottbus Synagoge Friedhof_resize.jpg

Alle MITGLIEDER dieser SYNAGOGENGEMEINDE wurden auch in COTTBUS beerdigt, von 1918 bis Ende 1940 auf dem NEUEN JÜDISCHEN FRIEDHOF am Südfriedhof. Entsprechend der THORA müssen die Toten spätestens nach 3 Tagen begraben werden, der TRANSPORT von Senftenberg nach Cottbus musste also schnell vonstattengehen. Hier findet man auch die GRÄBER von SENFTENBERGER JUDEN. Auf den Grabsteinen stehen die Namen: Abraham Fuchs (1854-1923) & Bertha Fuchs, geb. Magner (1859-1933), Clara Goldemann (1873-1920), Ida Klein, geb. Eichenbronner (1873-1936). und auch Dr. Rudolf Reyersbach (1897- 1938).

Reyersbach 2_resize.jpg

Eine große Anzahl JÜDISCHER BÜRGER war nach dem Ersten Weltkrieg aus der Provinz POSEN, die zum größten Teil polnisch geworden war, nach BRANDENBURG und auch SENFTENBERG gezogen. Sie hatten sich für DEUTSCHLAND entschieden, weil sie deutsch fühlten. Aus diesem Grunde dienten auch viele JÜDISCHE MÄNNER freiwillig als SOLDATEN im 1. Weltkrieg – 12000 davon „sind für das Vaterland auf dem FELD DER EHRE gefallen“ – deren MÜTTER wurden dagegen UNEHRENHAFT verhöhnt & gedemütigt:

1920 Reichsbund  Handzettel_resize.jpg

Im Jahr 1900 wurden für SENFTENBERG 13, 1910 = 21 und 1925 = 40 jüdische Bürger angegeben. Für 1933 schwankt die in den einzelnen Quellen genannte Zahl zwischen 27 und 50 JÜDISCHEN EINWOHNERN in unserer Stadt.
In der NIEDERLAUSITZ waren JUDEN in der Zeit des Kaiserreiches & der Weimarer Republik in nahezu allen BERUFSGRUPPEN zu finden. So gab es Kaufleute & Fabrikanten, Angestellte im öffentlichen Dienst, Lehrer, Richter & Staatsanwälte, Ärzte und Anwälte, aber auch Bürgermeister und Abgeordnete in den städtischen Parlamenten.
In SENFTENBERG wurden einige GESCHÄFTE in den wichtigen EINKAUFSTRASSEN (Bahnhof~, Schloss~, Kreuzstraße) sowie am MARKT von JÜDISCHEN BÜRGERN betrieben.

Nach Aussagen älterer Bürger unserer Stadt sprach man stets voller Achtung von den jüdischen Nachbarn, Arbeitskollegen, Mitschülern oder Freunden und auch enge freundschaftliche Kontakte zwischen einzelnen Familien wurden gepflegt.
Mit der Machtübernahme der Nazis 1933 unter ADOLF HITLER änderte sich allerdings
der ALLTAG DER JÜDISCHEN BEVÖLKERUNG rigoros.
Auch in der SENFTENBERGER BÜRGERSCHAFT flammte im Jahre 1935 unter Bezugnahme auf die hochstilisierte „NORDISCHE SEELE“ ein hohes Maß an JUDENHASS & ~HETZE auf – propagiert u.a. von der ORTSGEMEINDE SFB der sogenannten >DEUTSCHEN GLAUBENSBEWEGUNG<

„Alle Kräfte müssen auf den Plan gerufen werden, um den orientalisch-jüdischen Einfluß und damit die unselige Spannung in unserem Volk zu beseitigen. Der Anspruch der JUDEN auf eine totale Beeinflussung der KULTUR der gesamten Menschheit sei abzulehnen. Artbewußte VÖLKER bekämpfen ihn als fremden EINDRINGLING.“[/color]
Derartige KAMPFANSAGEN waren die JUDEN auf ihrem fortwährenden LEIDENSWEG gewohnt. Schon 1866 hatte sich Otto Stobbe in seinem BUCH >Die Juden in Deutschland< mit den endlosen JUDENVERFOLGUNGEN kritisch auseinandergesetzt:

„In allen Gegenden Deutschland und der gesamten christlichen Welt gab es zu allen Zeiten JUDENVERFOLGUNGEN mit immer denselben VORWÜRFEN & ANSCHULDIGUNGEN, wurden durch ABERGLAUBEN lügnerische BESCHULDIGUNGEN erfunden und nachfolgend immer dieselben GREUEL von den Landesherren, der Geistlichkeit und dem Pöbel begangen.. Die mittelalterlichen HEXENPROZESSE waren das beklagenswerte Erzeugnis unglaublicher DUMMHEIT und abgefeimter BOSHEIT, die gesucht und gefunden wurde, um das unglückliche JÜDISCHE VOLK zu demütigen, zu peinigen, zu martern & letztendlich zu ermorden. DEUTSCHLAND steht in dieser Beziehung nicht niedriger als die übrigen CHRISTLICHEN LÄNDER.“

Die NAZIS waren da im >Senftenberger Anzeiger< vom 29.06.1938 natürlich völlig anderer Meinung:

„Der Grund für immer wiederkehrende VERFOLGUNGSWELLEN ist, daß die JUDEN weder völlig eine NATION noch eine RELIGION, sondern von jedem ETWAS sind, und sich infolgedessen in eine WELT DER NATIONEN nur schwer eingliedern lassen. Die JUDEN sind eine MISSBILDUNG, gemischt mit jeder Rasse, aber in keiner aufgegangen; sie sind ein unverdauter Teil, der UNORDNUNG hervorrufe. Sie sind orientalischen Ursprungs, verlangten aber, da sie lange in Europa gelebt hätten, als WESTLICHES VOLK behandelt zu werden. Die JUDEN schrien zu laut und bestünden zu sehr auf das MITLEID DER WELT.“

28.08.1935
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12.09.1935
„Der neue ERLASS des Reichserziehungsministers zielt auf die >Durchführung der VÖLLIGEN RASSENTRENNUNG IN DEN VOLKSSCHULEN< und auf Wiederherstellung der JUDENSCHULEN hin. Entscheidend ist hierbei nicht die Zugehörigkeit zur mosaischen RELIGION, sondern zur JÜDISCHEN RASSE.
Der rassefremde, jüdische SCHÜLER bildet in der Klassengemeinschaft der ARISCHEN Schüler & Lehrer einen FREMDKÖRPER. Sein Dasein erweist sich als ein außerordentliches HINDERNIS im deutschbewußten nationalsozialistischen UNTERRICHT.
Beabsichtigt ist, ab Ostern 1936 für die reichsangehörigen SCHÜLER ALLER SCHULARTEN eine möglichst vollständige TRENNUNG durchzuführen. Alle diejenigen SCHÜLER & SCHÜLERINNEN, bei denen entweder EIN oder BEIDE ELTERNTEILE JÜDISCH sind, sollen in die >JUDENSCHULE< eingegliedert werden. Die sogenannten ‚VIERTELJUDEN‘, bei denen ein GROSSELTERNTEIL JÜDISCH ist, bleiben außer Betracht. Für die Errichtung einer besonderen >JUDENSCHULE< soll die Zahl von 20 NICHTARISCHEN KINDERN genügen; gegebenenfalls müssen MEHRERE JAHRGÄNGE in einer Klasse zusammengefaßt werden…“

Ab dem 15. November 1938 durften JÜDISCHE SCHÜLER keine DEUTSCHEN SCHULEN mehr besuchen, was zur Gründung neuer „JUDENSCHULEN“ führte, die u.a. auf eine EMIGRATION vorbereiten sollten.

Schulverbot_resize.jpg

DIE JUDENFRAGE IN DER GEMEINDEPOLITIK (23.09.1935)
„Wenn beispielsweise die Anbringung von >JUDENTAFELN< in manchen Orten notwendig und zweckmäßig erscheinen möge, so sei auch auf eine ‚entsprechende Form der Verlautbarung‘ Bedacht zu nehmen. AUFSCHRIFTEN wie: ‚JUDEN BETRETEN DIESEN ORT AUF EIGENE GEFAHR‘ seien unzweckmäßig, da hierdurch der falsche Eindruck erweckt werde, als seien hier ‚lebensgefährliche Gewalttätigkeiten an der Tagesordnung‘. Die MITTEL zur >LÖSUNG DER JUDENFRAGE< seien so zahlreich, daß es unzweckmäßiger DROHUNGEN nicht bedürfe…“

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ES GIBT KEINE >EHRENARIER< (26.09.1935)
„Von jüdischer Seite ist der kaum glaubliche VORSCHLAG gemacht worden,
einen sogenannten >EHRENARIER – SCHEIN< zu schaffen.
Zu ihm sollten durch staatlichen Hoheitsakt die JUDEN erklärt werden, die sich ‚besondere Verdienste um die deutsche Kultur‘ erworben haben, vielleicht auch gar alle ‚ANSTÄNDIGEN JUDEN‘. Uns sind Schriftstücke zu Gesicht gekommen, die beweisen, daß dergleichen allen Ernstes geglaubt wird. Der KAMPF gegen diese Art VORSTELLUNGEN ist überflüssig, sie erledigen sich von selbst…“

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Der >STÜRMER< erschien nach 1933 in großen Auflagen und war im Stil einer Boulevardzeitung aufgemacht. Der Karikaturist verbreitete mit seinen Zeichnungen Klischees von geldgierigen Juden mit gebogener Nase und krummen Beinen. Es wurde nicht nur allgemein das Judentum, sondern auch gezielt jüdische Einzelpersonen verleumdet. Auch pornographische Darstellungen waren beliebt. Die Leser wurden regelmäßig zu denunzierenden Zuschriften ermuntert.
In vielen Orten, auch in SENFTENBERG in zweifacher Ausführung, waren sie im sogenannten „STÜRMER – KASTEN“ öffentlich ausgehängt.

Geschaefte final_resize.jpg

Die NOVEMBERPRGROME 1938 führten zu Gewalt gegen jüdische Personen und Sachbeschädigung an Synagogen und Geschäften, wobei viele Menschen verhaftet und in Konzentrationslager gebracht wurden.
Der Alltag jüdischer Familien war danach stark vom zunehmenden Antisemitismus und der staatlichen Verfolgung geprägt, was zu sozialer Ausgrenzung, wirtschaftlichem Ruin & existenzieller Unsicherheit führte, wobei die rechtliche und wirtschaftliche Situation von Tag zu Tag schlechter wurde.
(1) Jüdisches Kapitalvermögen, Grundeigentum & Wertpapiere wurden eingezogen oder zwangsveräußert.
(2) Juden erhielten nur noch eingeschränkte Nutzungsrechte für öffentliche Einrichtungen: ihnen wurde der Besuch von Kinos, Theatern, Museen & Schwimmbädern verboten und immer mehr Parkbänke & Geschäfte verweigert, sowie das Autofahren & der Besitz von Kraftfahrzeugen verboten.

JUDEN IST DER BETRIEB NACHFOLGENDER GEWERBE UNTERSAGT (9.07.1938)
Bewachungsgewerbe – gewerbsmäßige Auskunftserteilung über Vermögensverhältnisse & persönliche Angelegenheiten – Handel mit Grundstücken – Vermittlung von Immobilienverträgen & Darlehen –
Haus~ & Grundstücksverwaltung – gewerbsmäßige Heiratsvermittlung, mit Ausnahme von Ehen zwischen Juden oder zw. Juden & jüdischen Mischlingen 1. Grades – Fremdenführergewerbe;
Wandergewerbe~ & Stadthausiererscheine verlieren ihre Gültigkeit.
Eine Entschädigung für persönliche oder wirtschaftliche Nachteile wird nicht gewährt.
Verstöße werden mit Gefängnis bis zu 6 Monaten und/oder mit Geldstrafe bedroht.

Judenstern_resize.jpg

Ab September 1941 mussten Jüdinnen & Juden ab dem vollendeten sechsten Lebensjahr den gelben JUDENSTERN tragen. Er wurde ein Schlüsselelement bei der VERFOLUNG und schließlich der VERNICHTUNG der jüdischen Bevölkerung Europas. Das ABZEICHEN diente nicht dem Zweck, Juden zu stigmatisieren und demütigen, sondern auch von der übrigen Bevölkerung abzugrenzen, um sie so besser überwachen und kontrollieren zu können. Es erleichterte zudem die DEPORTATION.
Viele jüdische Familien versuchten schon vorher, ins Ausland zu fliehen, jedoch war dies aufgrund restriktiver Einwanderungspolitiken der meisten Länder schwierig. Ab Dezember 1938 wurde einigen jüdischen Kindern durch "Kindertransporte" die Flucht nach Großbritannien und Schweden ermöglicht.


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