Der gestrige
VOLKSTRAUERTAG ist ein
>STILLER FEIERTAG< und wird immer im
NOVEMBER gefeiert, sowohl von Katholiken als auch Protestanten oder konfessionslosen Menschen. Ein festgelegtes Datum für diesen
GEDENKTAG existiert nicht. Er fällt jedoch stets auf den Sonntag zwei Wochen vor dem ersten Adventssonntag, gehört aber nicht zu den kirchlichen, sondern zu den vom Staat eingeführten Gedenktagen, ist aber kein gesetzlicher Feiertag, d.h. Geschäfte dürfen also geöffnet sein.
Häufig sind themenfremde Veranstaltungen zur Unterhaltung, zum Beispiel musikalische Darbietungen in Gaststätten, an diesem Tag verboten.
Eingeführt wurde der
VOLKSTRAUERTAG auf Initiative des Volksbundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge (VDK) am 28. Februar 1926 als
GEDENKTAG der gefallenen Soldaten im Ersten Weltkrieg, nachdem bereits im Jahr 1919 ein entsprechender Vorschlag ausgesprochen worden war.
Die Nationalsozialisten änderten ab 1935 diese ursprüngliche Widmung, so dass während dieser Zeit nicht mehr das Gedenken der Toten im Zentrum des Feiertages stand, sondern die Heldenverehrung. Als
>HELDENGEDENKTAG< deklariert, verlor der
VOLKSTRAUERTAG so seine ursprüngliche Bedeutung. Zwischen 1945 und 1947 wurde der
FEIERTAG nicht begangen, im Jahre 1948 aber wieder eingeführt.
Der
NOVEMBER wurde bewusst gewählt, weil in dieser Zeit im Kirchenjahr die Themen
TOD, GEDENKEN & EWIGKEIT dominieren.
Heute gedenkt man an diesem Tag aller Gefallenen und Opfer von Gewaltverbrechen aller Nationen.
Neben den vielen patriotisch überschäumenden, herzzerreißend plakativen HELDENGEDICHTEN, die damals abgedruckt wurden,
fand ich - oh Wunder - auch ein nüchtern-realistisches REIMWERK von PAUL KERSTEN, dem ehemaligen Rektor der Senftenberger Schule IV: Um den Termin für den Gedenktag, im Vorfeld bereits als
NATIONALFEIERTAG, NATIONALTRAUERTAG bzw. DEUTSCHER VOLKSTRAUERTAG deklariert, wurde hart gestritten, bevor man die allererste
GEDENKFEIER am 1. MÄRZ 1925 „einläutete“
– allerdings wegen des Ablebens des Reichspräsidenten Ebert mit einem strikten
VERBOT öffentlicher Lustbarkeiten.
Von den VORBEREITUNGEN berichtete der >Senftenberger Anzeiger< am 23. Februar 1925 wie folgt: „Am
NATIONALFEIERTAG für die gefallenen Helden nächsten Sonntag wird auch die Stadt Senftenberg ihrer auf den Schlachtfeldern gebliebenen Helden würdig gedenken.
Dem Rufe zu einer
BESPRECHUNG in During‘s Gasthaus waren die Vorstände von
15 VEREINEN aus der Stadt Senftenberg und der näheren Umgebung gefolgt. Es handele sich hier um eine allgemeine
VOLKSFEIER, bei der jeder
PARTEIGLAUBE und jeder
HADER auszuscheiden habe.
Es bestanden keine Bedenken gegen die Beteiligung des REICHSBANNERS >Schwarz-Rot-Gold< mit seiner Fahne an der Ehrung, sofern dasselbe das Programm anerkenne.
Auf die Frage wegen der Beteiligung des REICHSBANNERS am Gottesdienst glaubte man annehmen zu dürfen, daß dies seitens des REICHSBANNERS, dem es auch gestattet ist, einen eigenen Kranz mit schwarz-rot-goldener Schleife niederzulegen, im großen und ganzen wohl geschehen könne und werde.“ Möglicherweise war diese GROSSZÜGIGKEIT gegenüber dem REICHSBANNER einem Auftritt ihres TAMBOURKORPS zu verdanken…
Am 28. Februar 1925 gab man im Lokalblatt den ABLAUFPLAN bekannt:
„Der
NATIONALTRAUERTAG für die gefallenen Helden wird morgen, Sonntag, auch in Senftenberg und Umgegend in würdiger Weise begangen. Nach dem Beschlusse des Magistrats soll die
FEIER in der bereits bekanntgegebenen
PROGRAMMFOLGE vor sich gehen und zwar:
1. 9 Uhr vormittags: ANTRETEN der Vereine in der besprochenen Weise in der Schmiedestraße und am Neumarkt.
2. SAMMELN der städt. Kollegien, Beamten und geladenen Ehrengäste im Zimmer 7 des Rathauses.
3. 9¼ Uhr vormittags: Gemeinsamer KIRCHGANG.
4. 11 Uhr: MARSCH nach dem Kriegerdenkmal und Aufstellung dortselbst.
5. GESANG des Männer-Gesangvereins.
6. ANSPRACHE des Bürgermeisters S e e d o r f.
7. KRANZNIEDERLEGUNG.
Alle Vereine und Verbände unserer Stadt werden hierzu ergebenst eingeladen. Die
EINWOHNERSCHAFT wird ersucht, ihre
HÄUSER in den Reichs~ und Landesfarben auf Halbmast zu flaggen. Es unterliegt keinem Zweifel, daß dies in weitestem Umfange geschehen und daß die gesamte
EINWOHNERSCHAFT auch innerlichen Anteil an dem
NATIONALGEDENKTAGE nehmen wird.
Zu begrüßen ist es ferner, daß gerade an diesem Tage das Stadtorchester und der Gesangverein 1924 ein KONZERT zum Besten des Fonds der
HELDENGEDÄCHTNISSTÄTTE veranstalten.
Das Programm des
WOHLTÄTIGKEITSKONZERTS ist ein würdiges, dem Tage entsprechendes, und bringt Werke von Chopin, Mendelssohn, Haydn usw. Außerdem spielt Konzertmeister Göttler das Adagio aus dem Violinkonzert Nr.8 op.47 von Spohr.
Der Solotrompeter des Stadtorchesters, Herr Nonnewitz, bringt die Ballade >Das Heidegrab< von Haiser.
Ueber den
GESANGVEREIN 1924 ein Wort zu schreiben erübrigt sich, denn er liegt ja allen noch von den jüngsten Darbietungen in bester Erinnerung. Er wird auch wieder sein Bestes geben.
Der Preis von 50 Pfg. ist deshalb so niedrig gesetzt, damit jeder in der Lage ist, sich einen Genuß zu verschaffen und zugleich sein Scherflein zur
HELDENGEDÄCHTNISSTÄTTE beisteuert.
Die Dankespflicht unseren Helden gegenüber gebietet einen vollbesetzten Gesellschaftshaus-Saal.“
Am 2. März 1925 wurde die imposante FEIER AM KRIEGERDENKMAL mit folgendem Text gewürdigt:
„Am Sonntag waren zahlreiche Häuser mit
TRAUERFAHNEN versehen. Bereits am frühen Morgen belebten die Straßen viele Vereinsmitglieder und andere Frauen sowie Männer in
TRAUERKLEIDUNG. Ein erhebenes Bild gewährte der
EINZUG der 19 Vereine mit umflorten
FAHNEN in die altehrwürdige
STADTKIRCHE, die bei weitem nicht alle Einlaß Begehrenden zu fassen vermochte. Fahnen und Kränze fanden am Altar Platz…Im Anschluß an den Gottesdienst marschierten Behörden und
VEREINE mit den
FAHNEN geschlossen nach dem
KRIEGERDENKMAL, wo sich schon viele Leute eingefunden hatten. Die ganze Bahnhofstraße bildete einen riesigen Menschenknäuel.
Vor dem
DENKMAL waren die 19 umflorten Fahnen aufgestellt.
KRÄNZE mit schwarz-weiß-roter Schleife mit Widmung wurden von Vertretern der Vereine niedergelegt.
Auch das REICHSBANNER >Schwarz-Rot-Gold< fehlte nicht mit einer Kranzspende mit schwarz-rot-goldener Schleife. Bezeichnend für die GESINNUNG des Reichsbanners war das allseitig mit Genugtuung vernommene GELÖBNIS durch den Vorsitzenden, daß man ‚in gleicher Weise das in Gefahr geratene Vaterland verteidigen werde wie die gefallenen Helden‘…Die schlichte
FEIER nahm einen harmonischen Verlauf und die
VEREINE marschierten ebenso schneidig ab, wie sie gekommen waren.
Es herrschte überhaupt ein mustergültiger
ORDNUNGSGEIST in dem etwa 400 Personen umfassenden Zuge,
sowohl beim
MARSCH nach der
KIRCHE wie auch nach dem
KRIEGERDENKMAL.“
Bei der wenige Tage später, am 5. März 1925 stattfindenden TRAUERKUNDGEBUNG für den Reichspräsidenten war garantiert ein TROMMLERKORPS des REICHSBANNER vor Ort, wie man hier lesen kann:
„Zu Ehren und zum Gedächtnis des dahingeschiedenen Reichspräsidenten Friedrich Ebert veranstaltete gestern
das
REICHSBANNER >Schwarz-Rot-Gold< in unserer Stadt eine
TRAUERKUNDGEBUNG in Form eines
FACKELZUGES.
Abends um 8 Uhr sammelten sich die hiesigen und auswärtigen Ortsgruppen in der Gartenstraße vor dem Gesellschaftshause zu dem
UMZUGE. Eine traurige, ernste Stimmung machte sich überall bemerkbar und unter dem dumpfen Trauerwirbel des
TROMMLERKORPS bewegte sich der Zug durch die Moritz~ und Bahnhofstraße dem
MARKTPLATZE zu. Im langsamen Gleichschritt marschierten die
REICHSBANNERLEUTE einher. Der magische Schein der vom Wind aufflackernden
PECHFACKELN gab dem ganzen Zuge gleichzeitig ein dem Charakter der Veranstaltung entsprechendes Gepräge. Am
MARKTE angekommen, nahm der aus ca. 600 Mann bestehende Zug Aufstellung in einem großen Rechteck, und nachdem die
FAHNENTRÄGER mit den Fahnen am
LICHTKANDELABER zusammengetreten waren, hielt der Führer der Senftenberger Gruppe die
GEDÄCHTNISREDE…
Mit dem gemeinsam gesungenen
LIED: >Ich hatt‘ einen Kameraden< schloß die Feier auf dem Marktplatz.
Die
FACKELN wurden zusammengetragen und inmitten des Marktplatzes verbrannt.
Darauf bewegte sich der Zug bei dem Gesange des
REICHSBANNERLIEDES durch die Kreuzstraße zum ‚Damhirsch‘.“
Den SCHLUSSPUNKT unter die Festivitäten setzte am 13. März 1925 eine Ankündigung des >Senftenberger Anzeiger<:
„Nicht jedem ist es vergönnt gewesen, den
FEIERLICHKEITEN bei dem
BEGRÄBNIS des dahingeschiedenen Reichspräsidenten Ebert beizuwohnen.
Umso mehr ist es lobend anzuerkennen, daß der Inhaber des
PASSAGE-KINO im Interesse der republikanischen Bevölkerung es möglich gemacht hat,
daß von heute bis Montag im
FILM das Leichenbegräbnis Eberts vorgeführt wird…
Ganz besonders sei hervorgehoben, daß am Sonntag mittags 12 Uhr dieser FILM für die Mitglieder des REICHSBANNERS >Schwarz-Rot-Gold< und deren Angehörigen gegen ein Eintrittsgeld von 20 Pfg. gezeigt wird. REICHSBANNERLEUTE, nehmt diese Gelegenheit wahr und geht mit euren Frauen und Kindern am Sonntag zum Passage-Kino, zumal die VORFÜHRUNG nur eine halbe Stunde dauert, ihr also noch rechtzeitig zum Mittag zu Hause seid.“
NACHTRAG:
Mit dem VERBOT ÖFFENTLICHER LUSTBARKEITEN mahnte die damalige Regierung das deutsche Volk, der Schwelgerei und Üppigkeit zu entsagen – und weil man dem Erfolg der MAHNUNG misstraute, wurde verfügt, daß alle LOKALE um 10 Uhr abends zu schließen hätten. Vielerorts sollen sie jedoch überfüllt gewesen sein, weil in der Zeit der Weimarer Republik das Vertrauen zur Regierung und deren Anordnungen verloren gegangen war.
Gerade weil der Bevölkerung befohlen wurde, um 10 Uhr nach Hause zu gehen, wollten sie um 10 Uhr ausgehen.
An diesem „schlimmen Abend“ hatte die Polizei voll zu tun:
Sie jagte die Leute aus einem Lokal – und schon standen sie im nächsten. Sie leerte das nächste Lokal – unterdes hatte sich das erste wieder gefüllt.
Hinter herabgelassenen Rolljalousien und verschlossenen Türen saßen die Gäste und freuten sich,
Regierung und Polizei ein Schnippchen geschlagen zu haben… 