Ich bin im Januar 1944 im ehemaligen
SENFTENBERG II geboren und habe im später umbenannten
SENFTENBERG-WEST meine Kindheit verlebt und kannte mich daher mit den örtlichen Gegebenheiten ziemlich gut aus – zumindest besser als im Nachbarort
HÖRLITZ – FLUR. Die KINDER beider Orte besuchten nämlich einträchtig die Zentralschule in
HÖRLITZ, waren mehr oder weniger miteinander befreundet und gestalteten ihre Freizeit überwiegend friedlich – bis auf die legendären handfesten Revierkämpfe am
WASSERTURM auf dem
PARADIESBERG…
Die
EINWOHNERSCHAFT meines Heimatortes
SENFTENBERG-WEST verteilte sich auf nur wenige
STRASSEN,
die allesamt in die
„EINKAUFSMEILE“ KLETTWITZER STRASSE einmündeten, welche am sogenannten
„KREUZCHEN“ (nach einem dort aufgestellten
SÜHNEKREUZ benannt) ihren Anfang nahm.
Als eine schier endlose, mit uralten Eichen gesäumte Teer-Chaussee zog sie sich am
WASSERHÄUSCHEN vorbei, rechterhand die Ruinen der alten Brikettfabrik
ELISABETHGLÜCK passierend bis hin zum beschrankten, dennoch unfallträchtigen Bahnübergang und dem mit Fliederbüschen umrahmten Stationsgebäude, liebevoll
BAHNHOF genannt.
Nach dem Passieren jenes „Verkehrsknotenpunktes“ eröffnete sich unseren Altvorderen der weitläufige Blick in die
INDUSTRIE~ & GESCHÄFTSWELT DER KLETTWITZER STRASSE
beginnend mit >Tischlerei & Sarglager Raack< auf der linken Straßenseite. Danach folgten die beiden „Großunternehmer“ – rechts das >Glaswerk Seidensticker< und gegenüber das größte Gasthaus des Ortes, der >Reichsadler< mit der angrenzenden >Fleischerei< und dem >Papiergeschäft< die alle vom Familienimperium Lieske bewirtschaftet wurden, nach dem 2.Weltkrieg aber geschlossen blieben. Vorbei ging es dann am >Obst~ & Gemüseladen Schiller< und dem >Molkereigeschäft Sprieß<
Auf der linken Straßenseite war die Zufahrt zum >Gasthof Eiche< zu meiner Zeit >Kulturhaus der Bergarbeiter<, daran anschließend die >Fleischerei Begander< und die >Bäckerei Krauspe<. Gegenüber auf der anderen Straßenseite war die Post, danach die Zufahrt zur >Brikettfabrik Meurostolln< und das Werkskontor, dem sich der Kindergarten in der ehemaligen Volksschule II sowie die >Kolonialwarenhandlung Lau< anschlossen, in der es alles gab, was das Herz begehrte.
Auf dem Weg in Richtung PARADIESBERG zum >Lebensmittelgeschäft Reier< passierte man noch links die >Fleischerei Moch< >Lebensmittelhandlung Lehniger< und den >Friseur Ruprecht< sowie rechts das >Textilgeschäft Ginter<
Aber das war bei weitem noch nicht alles, was die KLETTWITZER STRASSE vor dem Krieg zu bieten hatte.
Es gab folgende
GASTSTÄTTEN: „Gaststätte“ Paradies“; „Conditorei u. Gaststätte“ E. Neumann“
GESCHÄFTE: „Kramladen“ Lau; „Gemischtwaren“ Rasch; „Lebensmittel“ Hartwig; „Milchverteiler“ Dieckhoff;
KLEINBETRIEBE: „Rolle“ Noack; „Tischlerei“ Freitag; „Schuhmacher“ Rosalki; „Friseur“ Blaschak; „Bäckerei“ Probst; „Rolle“ Oswald; „Schuhmachermeister“ Wehlan; „Fahrradhandlung“ Tschierschke; „Konditorei“ Staude…
Augenscheinlich ist, dass die Anzahl der Geschäfte in der Klettwitzer Straße des ehemaligen Senftenberg II (später West) im Vergleich zu heute unvorstellbar groß war. Leider hat man den vereinten Ort
HÖRLITZ betreffs
GRUNDVERSORGUNG der Bevölkerung inzwischen nahezu vollständig abgehängt. Traurig, aber wahr – leider.
Bis in die 1960er Jahre war die
KLETTWITZER STRASSE ein Teilstück der F 96 und verlief von Senftenberg über Klettwitz und Sallgast weiter nach Finsterwalde. Sie begann an der Kreuzung
BRUNNENSTRASSE (westlich von der Fabrik Elisabethglück) und endete in der sog.
FELDMARK MEURO, also kurz vor dem
GASTHOF PARADIES.
Noch heute ist ein kleiner
REST der alten Kopfsteinpflaster – Trasse am westlichen Ende der Klettwitzer Straße in
HÖRLITZ erkennbar.
Dahinter endet sie heute abrupt an einer ehemaligen
TAGEBAUKANTE.
>SAGE MIR, WO DU WOHNST, ICH WILL DIR SAGEN, WER DU BIST.<
Dieses SPRICHWORT wurde oft auch variiert & spezifiziert, z.B.: mit wem du umgehst / …, welche Zeitung du hältst / …was du ißt / …wie du dich kleidest bzw. welcher Schneider für dich arbeitet / usw.
endet jedoch immer mit der gleichen Feststellung:
>ICH SAGE DIR, WER DU BIST !<
In der
KLETTWITZER STRASSE wohnten alle GESCHÄFTSLEUTE selbstredend auch auf ihrem eigenen GRUNDSTÜCK.
Das GLASWERK SEIDENSTICKER hatte aber darüber hinaus 2 große MEHRFAMILIEN – WERKSKASERNEN errichtet, die den Vorteil boten, die BESCHÄFTIGTEN unmittelbar an der Fabrik anzusiedeln, wodurch man sie besser unter Kontrolle hatte…
Hier noch einige Bemerkungen zur EINWOHNERSCHAFT in den NEBENSTRASSEN:
(1) Die
HEIMSTÄTTENSTRASSE erhielt ihren Namen von den im Kaiserreich populär gewordenen sog. KRIEGERHEIMSTÄTTEN.
Als „Dank der Nation“ an die KRIEGSVETERANEN betrachtete man die dort errichteten primitiven KLEINHÄUSER inklusive NUTZGARTEN.
Die Grundstücke waren 1941 Eigentum der >Siedlungsgesellschaft Bergmannsheim<, was man an den Berufen der dort wohnenden BERGLEUTE ablesen konnte:
Schmied, Formleger, Bagger~ & Lokführer, Maschinist, Elektriker, Verlader und zahlreiche „einfache Arbeiter“.
(2) Die
WÜNNENBERGSTRASSE trug den Namen des Bergwerkdirektors Heinrich Wünnenberg,
er die Entwicklung des Senftenberger Braunkohlenreviers maßgebend mitgeformt hat.
Die 5 Doppelhäuser auf der linken Seite waren Eigentum der SFBer Kohlenwerke und trugen im geschwungenen Giebelfeld das alte Bergmannszeichen.
Zu jedem Haus gehörte ein kleines Stück Land mit Obstbäumen & Flächen für Blumenrabatten oder Gemüsebau, sowie Platz für Schuppen & Kaninchenställe.
Hier wohnten leitende Angestellte von >Meurostolln< wie z.B. Oberingenieure, ein Betriebsführer, Steiger, Direktionssekretär, Buchhalter, Fabrikaufseher.
Auf der rechten Seite hatten sich ein Schriftsetzer, Postschaffner, Polizeihauptwachtmeister, sowie die überaus populären Bürger Schulrektor Bernert & Pfarrer Rother einquartiert.
(3) Die sehr kurze
FABRIKENSTRASSE lief von der HÖRLITZER GRENZE mit den Hausnummern 3, 14, 16, 16a,
danach über die Klettwitzer Straße hinweg, und endete mit 63, 65.
Hier wohnte ein „technisch gemischtes Publikum“, wie Heizer, Gasmeister, Eisendreher, Tischler,
von denen mir aber nur Friseurmeister HANDRICH in Erinnerung geblieben ist, der mir von Zeit zu Zeit auf dem Drehstuhl einen „Topfschnitt“ verpasste…
(4) Die
WREDESTRASSE, in der ich mein Zuhause hatte, bot 50 preiswerte WERKSWOHNUNGEN – Miete betrug monatlich 10 Mark, Wasser, Strom und der KOHLENDRECK von der BRIKETTBUDE waren gratis. Damit konnten es sich vor allem GRUBEN~ & FABRIKARBEITER, die zumeist in der gegenüberliegenden Brikettfabrik als Naßdienst~ & Trockenwärter, Werkslokführer, Pumpenwärter, Schlosser oder Schweißer ihrer schweren Arbeit nachgingen, in den kleinen Zweizimmerwohnungen mit Küche, ohne Bad und mit Plumpsklo „außer Haus“ halbwegs gemütlich einrichten. Außerdem beschied ihnen die unmittelbare NÄHE ZUR FABRIK einen kurzen ARBEITSWEG, vor allem aber auch einen kostenlosen, nicht zu überhörenden, fehlerlos funktionierenden FABRIKSIRENEN-WECKER.
(5) Die
HAYKSTRASSE, Verbindungsstraße zwischen Klettwitzer & Langer Straße, wurde nach Gründung der DDR nach dem in den Freitod gegangenen Antifaschisten
OTTO MÜLLER benannt. In den wenigen EINFAMILIENHÄUSERN wohnte überwiegend „gehobenes Personal“,
wie z.B. je ein Werk~ & Schachtmeister, Schmied, Laborant, Elektriker & Maurer – heutzutage eventuell deren dankbare Nachkommen.
(6) Die
LANGE STRASSE, die einstmals von der ACKERSTRASSE abzweigte und sich bis zur KLETTWITZER STRASSE hinzog, wurde fast durchgehend von den SENFTENBERGER KOHLENWERKEN in Beschlag genommen. Heute zeigt sie sich als eine eher KURZE STRASSE, denn der Großteil von ihr wurde ein Raub des fortschreitenden TAGEBAUBETRIEBES – also zum größten Teil „ausradiert“, wie auf den nachfolgenden KARTEN zu sehen ist: