Ich war ja anfangs - also vor 15 Jahren nicht so der Freund von Ansichtskarten, die mit Motiven versehen sind, die ihrerseits aus der sogenannten "Vogelschau" aufgenommen wurden.
Also aus einem Ballon, Luftschiff oder einem Flugzeug heraus. Deshalb ist es auch nicht groß verwunderlich, daß sich über viele Jahre nur sehr wenige physische Stücke in meine Sammlung verirrten.
Nicht nur, daß sich letzteres - zunächst digital, später analog - wesentlich änderte, nein auch aus einem anderen Grund wandelte sich meine Wertschätzung solcher Produktionen erheblich...
Je mehr ich Ansichten verorten musste, die auf den ersten, zweiten oder dritten Blick so rein gar nichts in meinem Kopf klingeln liessen, desto mehr griff ich auf derartige Luftbilder zurück.
Diese halfen (und helfen) mir dabei, bestimmte Möglichkeiten in Betracht zu ziehen oder eben auch auszuschließen, wenn mal wieder eine Hausansicht bei mir eintrudelt, die es in dieser Form
heute nicht mehr gibt. Außerdem bekommt man nirgendwo sonst einen größeren Kontext geboten, wie sich die Infrastruktur vor hundert Jahren darstellte.
Leider sind die Ansichtskarten-Versionen solcher Schrägbilder aus der Luft in der Regel nicht so richtig scharf. Hinzu kommen auch noch physische Beschädigungen an den Originalen, die man zwar
digital korrigieren kann, aber das ändert nichts an meiner Einschätzung, daß es in jedem Fall noch Luft nach oben gibt.
Um so erfreulicher, daß es mir vor einiger Zeit gelungen ist, einige (nicht alle!) Luftbilder von Senftenberg, die Ende der 1920er/Anfang der 1930er angefertigt wurden, in Form von Scans von
- ja ich weiss es eigentlich gar nicht so genau - Glasplatten?, Negativen?, Fotoabzügen? zu erhalten. Bezüglich der Provenienz teilte mir die abgebende Stelle - das Landesarchiv Nordrhein-Westfalen - folgendes mit:
Der Bestand RW 0229 umfasst die 1979 von der Firma Hansa Luftbild AG in Münster übernommenen Schrägluftaufnahmen aus der Zeit zwischen den Weltkriegen (1921-1939). Die Bilder zeigen Städte, Ortschaften
und Landschaften, Baudenkmäler wie Burgen, Schlösser und Kirchen, Fabriken und Gewerbebetriebe, Häfen, Flughäfen und Bahnhöfe, aber auch wichtige Ereignisse wie die Vereidigung Hindenburgs als Reichspräsident
im Mai 1925, einen Besuch des Reichspräsidenten in Dessau im Juni 1927, das Deutsche Turnfest oder die Presseausstellung Pressa in Köln 1928, eine Überschwemmung der Saale im Juni 1933, eine Kundgebung der NSDAP
am Niederwalddenkmal in Rüdesheim zur Saarfrage 1933 oder die Ausstellung Schaffendes Volk in Düsseldorf 1937.
Schließlich enthält der Bestand auch Aufnahmen von Flugzeugen, Ballonen und Luftschiffen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Hansa Luftbild oder von technischen Gerätschaften zur Luftbildfotografie und Photogrammetrie.
Die Aufnahmen umfassen große Teile des damaligen Deutschen Reichs, auch sind eine Reihe von Auslandsaufnahmen vorhanden. Deutlich identifizierbar sind einige regionale Lücken. So wurden Aufnahmen des Ruhrgebiets
schon in den 1960er-Jahren von der Hansa Luftbild an den damaligen Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk verkauft und lagern heute beim Regionalverband Ruhr in Essen. Bilder der Stadt Frankfurt/Main sind heute im dortigen
Institut für Stadtgeschichte zu finden und Aufnahmen von Gebieten östlich von Oder und Neiße beherbergt das Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung in Marburg/Lahn.
Neben Aufnahmen der Hansa Luftbild umfasst der Bestand auch viele Aufnahmen der nach 1933 in ihr aufgegangenen Firmen, so etwa des Aerokartographischen Instituts Breslau sowie vor allem der Junkers Luftbildzentrale.
Vor allem Junkers-Aufnahmen sind in großer Anzahl vorhanden, da die Münsteraner Filiale, in der die Bilder erhalten geblieben sind, auf die Bonner Niederlassung der Bild-Flug GmbH, einem Nachfolgeunternehmen der Junkers
Luftbildzentrale, zurückgeht.
Rd. 13.000 Bilder liegen als Glasplattennegative im Format 13x18 cm vor, die den Zweiten Weltkrieg in der Münsteraner Niederlassung der Hansa Luftbild GmbH weitgehend unbeschadet überstanden haben. Daneben gibt es
Zelluloid-Repronegative, sowie einige Glas-Dias. Von rund 9.500 Aufnahmen liegen zusätzlich Papierabzüge vor. Man muss davon ausgehen, dass der größte Teil der Schrägluftaufnahmen aus der Zeit vor 1945 im Filmbunker
der Hansa Luftbild im Berliner Flughafen Tempelhof lagerte und dort gegen Kriegsende vernichtet wurde.
Der Großteil der erhaltenen Aufnahmen ist von guter Qualität, allerdings weisen eine nicht geringe Menge der Bilder zeitgenössische Schwärzungen auf, die von einer Prüfstelle im Reichsluftfahrtministerium nach 1934
zur Auflage für die weitere Verwendung gemacht wurden. In der Regel sind diese Schwärzungen irreversibel. In einigen Fällen liegen noch Abzüge vor, die vor den Schwärzungen von den Negativen angefertigt wurden.
Geordnet sind die Aufnahmen in diesem Findbuch nach den zeitgenössischen regionalen Landeseinteilungen, z. B. den preußischen Provinzen. Die Bildnummern entsprechen in der Regel den Nummerierungen der Glasplatten,
weshalb es in der Signaturenfolge zu größeren Sprüngen kommen kann.
Es ist bekannt, dass es in dem Bestand eine Reihe von Fehlzuschreibungen gibt. Das heißt, es kann vorkommen, dass das Bild nicht das wiedergibt, was der Titel beschreibt. Die Bildbeschreibungen gehen noch auf die Zeit
der Anfertigung zurück und stammen von der Firma Hansa Luftbild bzw. den Piloten und Fotografen. Gerade bei kleinen Orten oder bei Landschaften haben sich die Luftbildner mitunter auch einmal vertan.
Leider trifft das mit den, im obigen Text erwähnten, "Schwärzungen" für mindestens eine der mir zugespielten Luftaufnahmen zu. Dazu aber bei passender Gelegenheit mehr. Und auch die "ungeschwärzten" Aufnahmen sind zum Teil
unvollständig und geringfügig beschädigt bzw. in den Randbereichen "suboptimal". Manches lässt sich digital kaschieren, anderes muß man einfach so hin nehmen.
Doch wichtig ist: die Aufnahmen sind um einiges schärfer und zeigen mehr Bildinformationen als die Ansichtskarten-Pendants. Wie man beispielsweise an den drei nachfolgenden Exemplaren sehen kann:
Im Vergleich mit den Ansichtskarten-Versionen, die jeweils darunter abrufbar sind, kommt klar zum Vorschein, daß die heute vorgestellten Varianten signifikant mehr
Bildinformationen und dazu noch in besserer Qualität besitzen. Nicht nur durch die fortlaufenden Seriennummern (25914 bis 25916) wird klar, daß alle 3 Aufnahmen bei
und derselben Gelegenheit gemacht wurden. Genau in dieser Reihenfolge? Dafür würde ich meine Hand nicht ins Feuer legen. Die mitgelieferten Informationen des Landesarchivs
weisen ein "Juli 1929" für diese drei Fotos aus. Grundsätzlich bin ich vorsichtig bei solchen Zuschreibungen, weshalb ich in der Regel versuche, die Angabe zu validieren.
In vorliegendem Fall kann ich bescheinigen: stimmt! Wenn vielleicht nicht ganz genau Juli doch Sommer 1929 ist in jedem Fall korrekt.
Möglicherweise erst aufgrund der gesteigerten Schärfe und des größeren Bildausschnitts werden nämlich einige Details besser sichtbar. Da wäre zum Beispiel die aufgerissene Gerichtsstraße
(heute Steindamm). Etwas das ohne jeden Zweifel mit den flächendeckenden Arbeiten an der Senftenberger Kanalisation zu tun hatte, die 1928 in Angriff genommen wurden dann aber wegen
der langen und harten Frostperiode erst Ende April 1929 fortgesetzt werden konnten.
Bei diesen Arbeiten waren mehrere Bautrupps parallel und
in den unterschiedlichsten Straßen der Stadt zugange. Die
Maßnahme selbst stellte auch eine willkommene Entlastung
für den hiesigen Arbeitsmarkt dar. Etwa 170 Senftenberger
Erwerbslose fanden für eine gewisse Zeit bei den Francke-Werken, die für die
Ausführung verantwortlich zeichneten, Lohn und Brot.
Die Arbeiten gingen offenbar rüstig voran denn schon Anfang
Juni tauchte rechts abgebildete Bekanntmachung im Senftenberger
Anzeiger auf.
Diese Notiz bedeutet nicht zwangsläufig, daß jede der aufgerissenen
Straßen bereits wieder in einem befahrbaren Zustand war. Insofern
sind die auf den Fotos noch sichtbaren Baurückstände kein Ausschlußkriteritum.
Und nur 8 Tage später diese Zeitungsmeldung (links),
die wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge passt,
sprich: durch Bestandteile der drei Luftaufnahmen
visuell untermauert wird.
Das Jahr 1929 war demnach ein sehr bauintensives. Neben
den bereits erwähnten Kanalisationsarbeiten, die in
jenem Jahr ihren Abschluss fanden, erfolgte auch überall
in der Stadt die Errichtung von Wohnhäusern. Im Zentrum
selbst (Markt / Bäcker Häusler) aber auch im Weichbild
Senftenbergs. Einige dieser Baustellen (siehe auch links)
kann man auf den drei Fotos ausmachen... Briesker Straße
oder vielmehr (heute) Blankenbergstraße, Großenhainer Straße,
Kriegerheimstättenstraße (heute Radojewskistraße). Von dem
avisierten 8-Familienhaus in der Lessingstraße hingegen ist
bis auf die Baufeldfreimachung noch nichts zu sehen.
Damit sollte eigentlich der Nachweis erbracht worden sein,
daß die drei Schrägluftbilder tatsächlich im Sommer - wahrscheinlich
sogar im kolportierten Juli - 1929 bei einem Überflug durch
den Junkers-Luftbild-Dienst entstanden.
Mit welcher Art von Flugzeug das passiert sein könnte,
zeigt der nachfolgende Filmstreifen, der 1928 auf einem
Flugplatz (unklar ob Leipzig, Chemnitz oder ganz woanders)
gedreht wurde: