29.06.2025

Bei meinem letzten Besuch in der engen Bahnhofstraße hier vor 3 Wochen war auf den beiden Fotos jede Menge freie Fläche zu sehen. Ich erwähnte dabei, daß das nicht der Urzustand war, sondern daß der 2. Weltkrieg in seinen letzten Tagen Spuren in unserer Stadt hinterlassen hat. Spuren in Form zerstörter Gebäude - sei es durch feindlichen Beschuß oder durch Brandschatzung.
In irgendeiner Form erwischte es so auch die Häuser Bahnhofstraße 8 und 10. Die obige Abbildung vermittelt einen Eindruck, wie sich das über eine längere (wie lang, kann ich gerade nicht sagen) Zeit nach Kriegsende darstellte.
Leider ist die Aufnahme mit den Ruinen auch die einzige mir bekannte, die wenigstens ein bisschen von den Fassaden (Aufteilung der Fenster und Türen) der westlichen Flanke dieses Bahnhofstraßen-Abschnitts darstellt. Ältere Fotos, die einen unversehrten Zustand zeigen, kenne ich bislang nicht. Das finde ich persönlich schade aber es heißt ja nicht, daß das zukünftig so bleiben muß. Vielleicht taucht ja in der Folgezeit noch etwas (bei mir) auf.

Zur Hausnummer Bahnhofstraße 10 ist anzumerken, daß hier viele Jahre die Eisenhandlung Hermann Koch ihren Sitz hatte. Erwähnenswert ist vielleicht auch noch, daß sich an dieser Adresse - ob es genau dieses Haus war oder aber ein Vorgänger-Bau ist nicht so klar - zwischen 1852 und 1882, also 30 Jahre lang, die Senftenberger Postanstalt befand.
Die alten Chroniken sprechen dabei vom "Haus des Kürschnermeisters Friedrich Krüger in der Bahnhofstraße 31". Das führte hin und wieder zu Verwirrung und Mißverständnissen in den Generationen Senftenberger Heimatforscher. Dazu muß man sagen, daß die Bahnhofstraße frühestens mit Einrichtung des Bahnhofs um 1870 Ihren Namen erhalten haben kann. Die Hausnummer 31 war zur damaligen Zeit korrekt - die Umnummerierung sämtlicher Häuser fand erst um die Jahrhundertwende statt. Der in diesem Zusammenhang genannte Name "Krüger" resultierte in der Vergangenheit auch gerne in konstruierten Verbindungen zur Firma Moritz Krüger, was jedoch jeder Grundlage entbehrt.
Ausschnitt aus einer Zeichnung ("skizziert nach dem Gedächtnis"), die der langjährige Stadtschreiber Otto Lehmann sen. 1936 anfertigte.
Mit einer Außenansicht des Hausnummer 8 kann ich leider ebenfalls nicht dienen. Dafür mit einer Handvoll Innenaufnahmen, die mich jedoch etwas ratlos zurücklassen. Das Haus war nicht sehr breit und doch vermitteln die (nunmehr) 5 Innenansichten das Bild eines ziemlich großen Etablissements. Der Betrieb zog sich demnach über mindestens 2 Etagen und wahrscheinlich wurde dort im Laufe der Jahre immer mal wieder umgebaut. Deshalb findet man nur schwerlich Gemeinsamkeiten, wenn man sich die Mühe macht, die einzelnen Innenaufnahmen übereinander zu legen.
Für Umbauten an seinen Räumlichkeiten war der Besitzer Hermann Kuhnt bekannt und jedes Mal, wenn er das Interieur den "neuzeitlichen Bedürfnissen" angepasst hatte, bestellte er wohl einen Senftenberger Fotografen ein, der ihm eine schöne Ansichtskarte zauberte, die den neuen Zustand wiedergab.
Und in genau so einem Zusammenhang dürfte sehr wahrscheinlich das rechts abgebildete Stück erschienen sein. Es deutet vieles darauf hin, daß die Karte anlässlich des Umbaus anno 1919 veröffentlicht wurde...

Senftenberger Anzeiger (8. Juni 1919)
Senftenberg
Photograph Käding, Senftenberg
L 8323 19
Aufnahme <= 1920
Sammlung Matthias Gleisner
Wir bleiben zeitlich in den Jahren 1919/20 wechseln jedoch die Straßenseite. Auf der östlichen Flanke der Bahnhofstraße befinden sich die ungeraden Hausnummern und das Haus mit der Startnummer 1 können wir hier rechts erkennen. Zumindest einen Teil davon.
Das Ladenlokal wurde just einer neuen Bestimmung zugeführt: Seit ein paar Tagen befindet sich in den Räumen eine Filiale des Reiseclubs Cottbus. Die Liste der jemals eingemieteten Geschäfte dürfte ziemlich lang sein. Unter anderem - und wie wir sehen - auch die Firma Georg Messenbrink GmbH.
Georg Messenbrink "vagabundierte" in den Anfangsjahren ziemlich in der Stadt herum. Seinen Geschäftsbetrieb begann er im Dezember 1912 in der Kreuzstraße 30. Knapp vier Jahre später - im Oktober 1916 - gab er via Senftenberger Anzeiger den Umzug an die neue Adresse Bahnhofstraße 1 bekannt (siehe unten).
Senftenberg
Aufnahme <= 1920
Sammlung Matthias Gleisner
Senftenberger Anzeiger (29. Oktober 1916)
Damit dürfte klar sein, daß das Foto nicht vorher gemacht worden sein kann. Aber auch hier hielt es Messenbrink nur knapp 4 Jahre aus. Anfang Oktober 1920 verlegte er seinen Sitz ein weiteres Mal. Diesmal in die Bahnhofstraße 18.

Senftenberger Anzeiger (6. Oktober 1920)
Womit wir automatisch die Obergrenze für das Foto haben. Warum ich weiter oben von 1919/20 schreibe und damit den restlichen Zeitraum ausschließe, hat etwas mit der Fassadenbeschriftung zu tun. Auf dem Foto erkennen wir nämlich neben der Adresse Bahnhofstr. Nr. 1 und dem Georg Messenbrink rechts noch angeschnitten und unscharf ein GmbH. Die offizielle Bekanntmachung über den Eintrag dieser GmbH in das Handelsregister erfolgte im Frühjahr 1919:
Es ist äußerst unwahrscheinlich, daß das Firmenschild über dem Laden vor diesem Ereignis das "GmbH" enthielt. Damit kann der zeitliche Korridor für das Foto gut und gerne auf April 1919 - Oktober 1920 eingegrenzt werden. Die beiden abgebildeten Damen sind unbekannt. Möglicherweise Verkaufspersonal. Wir sehen beide auch auf der folgenden Fotografie, die, neben der Tatsache, daß es sich leider um eine schlechte Reproduktion handelt, bereits den Laden in der Bahnhofstraße 18 (1920 ff.) abbildet.

Ansonsten erkennt man auf dem Foto (links beginnend) Ewald Messenbrink (Bruder), Emilie Messenbrink (geb. Radenz, 1. Ehefrau) und den Geschäftsführer Georg Messenbrink persönlich.

Aber das soll hier und heute gar nicht das Thema sein. Deshalb zurück in die enge Bahnhofstraße!

Ich hatte oben kurz erwähnt, daß das Ladengeschäft unlängst einen neuen Mieter bekommen hat. Das Haus insgesamt beherbergt jedoch seit alters her zwei Geschäftslokale. Das zweite - rechte - gehört seit Ende letzten Jahres

zu jenen drei Läden, denen (ich erwähnte es vor drei Wochen) mittels kommunaler Finanzspritzen so etwas wie Leben injiziert werden soll. Konkret handelt es sich um den Senftenberg Laden... ohne Bindestrich, der scheinbar aus der Mode gekommen ist und auch ohne erkennbaren Mehrwert. Jedenfalls sehe ich keinen solchen und auch keine Zukunft für dieses Geschäft denn das was dort feil geboten wird, kann genauso gut in der Tourist-Information 100 Meter weiter offeriert werden. Vielleicht wird es das sogar. Ich weiß es nicht. Die derzeitige Schaufensterauslage schreckt eher von einem Betreten ab. Ohnehin besitzt der Laden keine geregelten Öffnungszeiten. Wer in den "verschiedenen Angeboten und speziellen Sachen, die stets handwerklich und regional gefertigt sind" stöbern möchte, kann im Notfall eine Telefonnummer wählen und dann kommt vielleicht jemand, der aufsperrt. Typische Senftenberger "Kopfgeburt".

Kehren wir mal besser in das Jahr 1920 und auf die linke Seite des Hauses Bahnhofstraße 1 zurück. Ich möchte nämlich noch auf ein Detail der Fotografie hinweisen, daß aber nicht exklusiv für diese Aufnahme gilt sondern gleichsam für ähnlich gelagerte: die Spiegelung in der Schaufensterscheibe!
In Spiegelschrift erkennt man dort zum einen ein Otto, das zu "Otto Schulz" (Butter-Spezial-Geschäft, Eier, Käse, Margarine, Konserven, Wild- und Gefügelhandlung) gehörte. Zum anderen lässt sich ein Kaiser's Kaffee-Geschäft entziffern. Bei anderen Gelegenheiten können derartige Informationen der Datierung einer Aufnahme behilflich sein, in vorliegendem Fall jedoch nicht, da beide Geschäfte über den bereits gesteckten Rahmen 1919/20 an dieser Stelle in Betrieb waren.

Neben dem kleinen Exkurs in meine "Techniken" bietet
mir die obige Teil-Information die Möglichkeit die Kurve
zum dritten und letzten Foto für heute zu kriegen.

Zeitlich bewegen wir uns mit dieser Aufnahme um das Jahr
1937. Ganz sicher ist das nicht da valide Beweise fehlen.
Doch dort wo ich diese Ladenansicht aufgestöbert habe,
befindet sie sich im Zusammenhang mit einer Zeichnung der
Senftenberg
Aufnahme <= 1937
Kreisarchiv Viersen
Räumlichkeiten. Und diese Darstellung (siehe unten) enthält einen Verweis auf den 7.9.37 was jahreszeitlich auch in etwa mit der im Schaufenster erwähnten Ferien- und Einkochzeit harmoniert.

Einiges deutet darauf hin, daß diese Zeichnung im Zusammenhang mit einer (teilweisen) Neugestaltung des Verkaufsraums entstand. Dabei wurden offenbar Einrichtungsgegenstände aus einer anderen Kaiser's-Filiale nach Senftenberg umgesetzt.

Das Haus selbst bietet heutzutage eine stark veränderte Optik. So wurde die einstmals rechts befindliche Eingangstür nach links verlegt. Über die gesamte Breite - also nicht nur das was wir auf der historischen Fotografie sehen - wurde das Erdgeschoß mit Riemchen verblendet. Ein Detail ist aber noch weitestgehend erhalten gelieben... die Führung des Fallrohrs der Regenentwässerung links! Wie geschrieben: ansonsten erinnert kaum noch etwas an die ursprüngliche Gestaltung. Und auch das damalige Standardsortiment der Kaiser's-Kaffegeschäfte - Kaffee, Tee, Kakao, Schokolade, Pralinen und Bonbons - wurden spätestens seit Kriegsende bis zum heutigen Tag nicht mehr darin angeboten. Aktuell befindet sich in dem Laden eine Zweigniederlassung der Zeugen Sahras (Blessed Sahra's Witnesses)...