12.11.2023
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Es ist mittlerweile ziemlich genau 30 Jahre her, daß die nebenstehende Aufnahme einer
breiteren Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Und es ist tatsächlich dieselbe Basis. Während
aber in dem 1993 erschienenen Büchlein "Senftenberger See - Historische Wanderung durch..."
noch sämtliche "Macken" zu sehen sind, wurden diese von mir natürlich für die Veröffentlichung
hier und heute weitestgehend entfernt.
Besagtes Buch gehört zur Heiligen Dreifaltigkeit der, durch das Kreismuseum Senftenberg in den Jahren
1992/93 herausgegebenen, drei Bücher mit historischem Bildmaterial aus Senftenberg und der
näheren Umgebung.
Im Vergleich zu den beiden streng Senftenberg-bezogenen Büchern - "Alt-Senftenberg - Eine Bilderchronik"
und "Senftenberg - Bilder aus der Vergangenheit", ist die Publikation, die sich um die Gemeinden
entlang des Senftenberger Sees rankt, schon sehr "personenlastig". Im Zweifel also Wimmelbilder und
Gruppenaufnahmen von begrenztem Informationsgehalt.
Insofern fällt das obige Foto mit dem Jungen vor dem Transportwagen des Niemtscher Bäckers
Richard Schmidt überhaupt nicht aus dem Rahmen. Im Buch wird ein "1927" für das Foto angegeben. Ich kann
diese Information nicht widerlegen, also übernehme ich diese Angabe blindlings. Bestätigen kann ich sie
aber auch nicht.
Auch der Ort der Aufnahme ist unklar. Vermutlich befinden wir uns auf dem Gehöft des Bäckers in Niemtsch.
Wofür der, unzweifelhaft ansonsten mit einem Pferd bespannte, Wagen benötigt wurde, kann man der darunter abgebildeten
Annonce entnehmen: zur Belieferung der Verkaufsstellen im Senftenberger Stadtgebiet. Und potzblitz:
das gute Landbrot von Schmidt wurde doch tatsächlich auch bei mir im Hause (Weststraße 28, heute Felix-Spiro-Straße 28)
angeboten!
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Aufnahme = 1927 Sammlung Ullrich Hellebrandt
Senftenberger Anzeiger (1926)
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Von ähnlichem Kaliber ist das zweite Gespann für heute. Diesmal sogar mit "Zugmaschine". Zeitlich würde ich die
Aufnahme ebenfalls Mitte der 1920er Jahre eintakten. Persönlich finde ich das Foto etwas interessanter als den
Niemtscher Bäckerwagen. Immerhin haben wir mit dem Verkaufswagen der Senftenberger Molkerei-Genossenschaft einen
stärkeren Senftenberg-Bezug. Wo genau der Milchkutscher und seine Rosinante aufgenommen wurden ist nicht mehr ermittelbar.
Bei sehr starker Vergrößerung kann man das Angebot, teilweise sogar die Preise, des fahrenden Verkaufsstandes entziffern...
Magermilch, Buttermilch, Joghurt, Sahne, Schlagsahne, Tafelbutter, Landbutter, ???butter, Margarine, Speisequark, Sahnen-Käse, Roumadour,
Limburger, Quadrat, Harzer, Camembert, Stangen, Molken. Das volle Programm!
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Aufnahme <= 19?? Sammlung Matthias Gleisner
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Was es mit den Gegenständen auf dem Dach des Wagens auf sich hat kann man aus den nachfolgend dargestellten Annoncen schliessen:
Der Niederlausitzer Braunkohlenbergmann (11.09.1926)
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Zweifellos ein sehr fortschrittliches Angebot des Senftenberger Molkereibetriebs.
Die Lieferung von portionierter Trinkmilch, abgefüllt in Aluminiumbechern mit
hygienischem Verschluß, Tagesstempel und Zupfer. Vor allem stellte man mit dieser
Offerte auf die Schüler der Senftenberger Schulen ab. In einem weiteren Inserat, ebenfalls
aus jenem Jahr, machte man den Eltern das Ganze als flüssiges Fleisch "schmackhaft".
Und das für nur 9 Pfennige pro Becher!
Senftenberger Anzeiger (1926)
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Abschliessend komme ich nochmals auf die oben erwähnten drei Bücher zurück. Tatsächlich waren sie weit und breit die ersten ihrer Art,
die historisches Bildmaterial - und dazu vergleichsweise üppig und qualitativ höherwertig - aus Senftenberg dem Publikum offerierten.
Mir ist keine Publikation aus DDR-Zeiten bekannt, die auch nur annähernd eine solche Fülle darbot. Im Sozialismus ging es halt immer
nur im Raketentempo vorwärts. Für Rückwärts-Blicke blieb da überhaupt keine Zeit.
In der Tat war es bis nach der Wende der Lausitzer Rundschau vorbehalten, für ihre Leserschaft irgendwelche alten Ansichten
auszugraben und zu reproduzieren. In der berüchtigten Zeitungspapier-Qualität. Personen wie Martin Schertzberg, Günther Lischka oder
Hans-Peter Rössiger lieferten dazu unter den Rubriken "Chronik" oder "Das historische Foto" mehr oder weniger erhellende Texte. Unter
der Überschrift "Aus Omas Kramkiste" konnte sich die restliche Bevölkerung mit Bildrätsel-Lösungen und ggf. damit verbundenen persönlichen
Geschichten einbringen.
Letzteres kommt hierzulande in Wellenbewegungen auch immer mal wieder - zumeist in kostenlosen regionalen Anzeigenblättern - zum Einsatz.
Es ist anzunehmen, daß Anfang der 1990er Jahre ein größeres und bis dato unbefriedigtes Interesse an historischem Bildmaterial herrschte. Nicht
allein in Senftenberg, sondern im gesamten Osten des wiedervereinten Deutschlands. Vielleicht nicht so groß wie der Hunger nach Bananen, Orangen,
Kiwi oder Joghurt, aber doch merklich. Ich vermute, daß damals die Initiative von dem westdeutschen Geiger-Verlag ausging, der nicht nur die drei Senftenberg-
Bücher herausgab, sondern noch hunderte weitere Titel, die allesamt Bilder vergangener Zeiten aus Gemeinden in Ost wie West zum Inhalt haben. Dem Verlag
eröffneten sich mit der Wiedervereinigung gänzlich neue Märkte, die man natürlich schnellsten abschöpfen wollte.
Ich selbst wurde vor 10 Jahren auch mehrfach ungefragt von irgendwelchen Verlagen kontaktiert, die Bücher oder Kalender mit meinen Grafiken herausbringen
wollten. Im Gegenzug hätte ich dann wohl so etwas wie 10 Freiexemplare der Veröffentlichung erhalten. Ich lehnte verständlicherweise dankend ab.
War der Bedarf nach den drei Büchern gedeckt? Sieht so aus! Mehr als 10 Jahre sollte es dauern bis neue heimatgeschichtliche Bücher in den Handel
kamen, wobei die drei Forkert-Bücher rein visuell in einer anderen, niedrigeren Liga spielten.
Erst Norbert Jurk gelang 2010 mit seinem ersten von zwölf Heimatbüchern gewissermaßen ein Anschluß an die drei Museums-Bücher. Vorbild für seine
Publikation, so erzählte es mir Norbert, waren in der Tat diese ersten drei Werke aus den Jahren 1992/93.
Leider begingen wir vor kurzem Norberts zweiten Todestag. Und damit wird die Lücke, die er hinsichtlich Heimatliteratur hinterlässt, wieder ein Stück breiter.
Aber möglicherweise kommt ja demnächst etwas Bewegung in die vor sich hin schlummernde Thematik einer Senftenberg-Chronik, die man bis spätestens 2029, dem
750. Geburtstag unserer Stadt, fertiggestellt haben sollte. Ich habe jedenfalls etwas in dieser Beziehung läuten hören.
Es ist aus meiner Sicht jedoch nicht zu erwarten, daß besagte Chronik, wenn sie denn wirklich in Angriff genommen und abgeschlossen wird, mit einem Feuerwerk
an Bildmaterial einher geht. Dazu sind viele Zeitabschnitte überhaupt nicht adäquat illustrierbar. Und es würde den Charakter einer Chronik möglicherweise auch
verwässern. Aber keine Bange! Für die großen bunten und nicht so bunten Bildchen gibt es ja (dann noch immer) www.gruss-aus-senftenberg.de...
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