02.07.2023
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In meiner, seit nunmehr knapp 13 Jahre andauernden, Sammel- und Heimatforscherkarriere sind mir eine ganze Reihe von Stücken vor die Augen gekommen, die auf den ersten Blick
nach Senftenberg "rochen", die aber gleichzeitig nicht sofort und zweifelsfrei verortbar waren. Naturgemäß handelte es sich dabei in aller Regel um Fotos bzw. Fotopostkarten,
die anders als kommerzielle Ansichtskarten nicht unbedingt die schönsten Seiten unserer Stadt präsentieren. Die Seiten, die auch heute noch - hundert Jahre später - ziemlich einfach
wiederzuerkennen sind. Vielmehr befinden sich auf diesen Kandidaten Abbildungen von Personen bzw. Gruppen oder aber Infrastruktur, die wenig signifikant ist. Vielfach auch gar nicht
mehr existiert. Der "Senftenberg-Geruch" solcher Exemplare kann auf verschiedene Art und Weise zustande kommen:
Ganz vorn rangiert dabei natürlich ein Senftenberger Postausgangsstempel. Gefolgt von irgendwelchen Beschriftungen in denen das Wort "Senftenberg" auftaucht. Manchmal genügt es auch nur,
daß ein Stück im Dunstkreis anderer (identifizierbarer) Stücke bei mir auftaucht. Und mein Forscherdrang ist geweckt.
Mir ist klar, daß das nur wenige Leute neben mir interessiert aber zumindest ich habe meine Freude daran, wenn nach endlosem Grübeln, Vergleichen, Kombinieren und Ausschliessen
schließlich der berühmte "Heureka-Moment" eintritt...
Yessssssssssss... es ist "unser" Senftenberg!
Und so konnte ich in der Vergangenheit einen großen Teil derartiger Wackelkandidaten zuordnen. Trotzdem schlummern immer noch einige Ansichten in meiner analogen oder digitalen Sammlung,
die weiterhin offen sind. Und es möglicherweise auch für immer bleiben, weil sie tatsächlich nichts mit Senftenberg zu tun haben oder weil es mir nicht gelingt, eine zweifelsfreie Verortung
zu realisieren.
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Meine Erfahrungen diesbezüglich zeigen, daß man manchmal nur ein wenig länger warten muß. Und manchmal
kommt dann auch noch der berühmte "Kommissar Zufall" ins Spiel. Wie - und nun beende ich mal langsam meine
Vorrede - im ersten Fall für heute.
Ein schönes Beispiel für die oben erwähnten Fälle. Postausgangsstempel von Senftenberg vorhanden und im
Kartentext fallen die Namen "Loewke" und "Meyer". Beides Namen, die mir aus der Senftenberger Geschäftswelt
um 1900 bekannt sind. Ansonsten? Eine Reihe, mehrheitlich weiblicher, Personen, die in irgendeinem Garten
offenbar dem Krocket (Croquet) - Spiel frönen. Der Name "Meyer" war in diesem Fall hilfreich, denn ich erinnerte
mich, daß ich vor zwei Jahren schon einmal ein Foto aus dem Garten des Fotoateliers an der Ostpromenade
vorstellte. Nämlich dieses hier:
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Aufnahme <= 1902 Sammlung Matthias Gleisner
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Und ich denke, das sieht sogar der berühmte Blinde mit dem Krückstock... die drei Kinder nebst kleinem Hund, sowie die Dame ganz rechts sind auf dem (tatsächlich
auch zeitlich etwas früheren) Foto enthalten. Bingo! Damit macht auch das kleine Stückchen Haus am rechten Rand der Postkarte Sinn. Wir haben es aller Wahrscheinlichkeit
nach unter anderen mit Familienangehörigen des Senftenberger Fotografen Hermann Meyer, seine Kinder und seine Frau, zu tun, die Meyer hiermit für die Ewigkeit konservierte.
Auf einer Lichtdruck-Karte, was für solche Sujets eher selten vorkommt, bei den wirtschaftlichen Beziehungen die Meyer hatte (er verlegte damals selbst Ansichtskarten)
aber auch nicht verwundert.
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Um einen gewissen roten Faden durch meine heutige Geschichtsstunde zu spinnen, könnte ich jetzt
behaupten, daß das rechts abgebildete Paar in dem Garten desjenigen Hauses aufgenommen wurde, dessen
Schornstein wir auf der Meyer-Ansicht zwischen Nadelbaum und Hauswand in der Ferne ausmachen können.
Tue ich aber nicht, denn es wäre falsch. Richtig ist, daß das Foto auf dem Nebengrundstück, also der
Bahnhofstraße 12 gemacht wurde. Der Schornstein gehört hingegen zur Bahnhofstraße 14.
Den Ort des Geschehens zu ermitteln war in diesem Fall schwieriger als zu bestimmen wen wir auf
dem Foto sehen. Letzteres gestaltete sich sogar ausgesprochen leicht. Aber auch nur wenn man über die
entsprechenden "Rahmeninformationen" verfügt. Und die sind in diesem Fall extrem kurios! Wie man nachfolgend
erkennen kann, handelt es sich bei dem Foto um ein Paßbild. Ohne Quatsch!
1. Rudolf Lehmann
2. Agnes Lehmann
Preußische Staatsangehörige
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Aufnahme <= 1918 Sammlung Matthias Gleisner
Personalausweis für Herrn Kantor Rudolf Lehmann und seine Ehefrau Agnes geb. Lorenz aus Senftenberg, Bahnhofstraße 12
zu Reisezwecken innerhalb des Deutschen Reiches.
1. Personalbeschreibung:
Alter: 55 Jahre, geb. 16.9.1862 zu Altdöbern,
Größe: 1,55m, Haare: grau, Statur: klein,
Augen: blau, Gesicht: oval.
2. Alter: 48 Jahre, geb. am 24.2.1870 zu Senftenberg,
Größe: 1,58m, Haare: dunkel, Augen: braun,
Statur: mittel, Gesicht: oval.
Es wird hiermit bescheinigt, daß die voraufgeführten tatsächlich die durch die Photographien
dargestellten Personen sind und nebenstehende Unterschriften eigenhändig vollzogen haben.
Senftenberg L., den 11. JULI 1918 Die Polizeiverwaltung.
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Donnerwetter! So sahen also Personalausweise vor einhundert Jahren aus. Ein wirklich bemerkenswertes Dokument, das ich unlängst meiner Sammlung einverleiben konnte. Und noch dazu
von einem Mann, der in Senftenberg kein Unbekannter war!
Der Senftenberger Anzeiger widmete dem Jubilar zu seinem 70. Geburtstag einen Beitrag
in welchem seine Verdienste auf den vornehmlich erzieherischen und musikalischen Feldern gebührend
gewürdigt wurden.
Rudolf Lehmann, der übrigens sehr klein war (1,55m) und dabei sogar von seiner Frau überragt
wurde, starb im hohen Alter von fast 84 Jahren und ist den Senftenberg-Interessierten nicht nur als
Dirigent, Chorleiter und Kantor ein Begriff, sondern auch als Vater des über die Grenzen der Lausitz
hinweg bekannten Historikers Dr. Rudolf Lehmann jun. in Erinnerung.
Wie komme ich aber nun zu dem Schluß, daß die Aufnahme des Ehepaares Lehmann im Vorgarten ihres Hauses
in der Bahnhofstraße 12 gefertigt wurde?
Wiederum durch die Verquickung glücklicher Umstände. In meinem ganzen Sammelsurium stieß ich doch tatsächlich
auf dieselbe Fotografie. Undatiert. Unkommentiert. Sie stammt aus der Sammlung der Familie Wendt. Diese Version
ist wesentlich schärfer, in der mir vorliegenden digitalen Form jedoch qualitativ unter meinen Standards. Obwohl
die Wendt-Version etwas mehr Bildinformation beinhaltet, geht daraus nicht hervor, wo das Foto gemacht wurde.
Dies kristallisiert sich erst durch die Kombination einer Alternativaufnahme, die ohne Zweifel bei derselben Gelegenheit geschossen
wurde, mit einer Frontalansicht des Lehmannschen Anwesens heraus...
Alternativaufnahme aus der Sammlung der Familie Wendt
Ansicht des Hauses Bahnhofstraße 12
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Senftenberger Anzeiger (14. September 1932)
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Ich persönlich hege damit keinerlei Zweifel an der Theorie, daß auch das Foto, welches als "Paßbild" herhalten durfte, im Vorgarten des Lehmannschen Hauses gemacht wurde.
Und ich habe sogar noch eine zweite Theorie, die besagt, daß die beiden Fotos, die das Ehepaar Lehmann zeigen, von jemandem aus der Familie Wendt angefertigt wurden. Es gibt
für mich ansonsten keine plausible Erklärung dafür, daß sich die Glasnegative im Besitz der Wendts befanden. Und sicher noch befinden.
Wahrscheinlich fungierte in vorliegendem Fall Alfred Wendt als Fotograf. Es gab mindestens über den Männergesangsverein 1854 eine Verbindung zwischen dessen Leiter Rudolf
Lehmann und Alfred Wendt. Letzteren vermute ich auch als Urheber der nebenstehenden Fotopostkarte.
Warum? Wir erkennen seine Frau Margarethe (rechts hinten) und die beiden Kinder Irmgard und Günther (unten Mitte und rechts). Ihn jedoch nicht. Der Rest der Gesellschaft ist
unidentifiziert. Man schrieb auf die Karte: "Liebes Muttchen! Ehe wir abreisen, noch die herzlichsten Grüße von deinen Kindern und Wendts."
Witzigerweise verfügt Familie Wendt über ein Glasnegativ derselben (und einer alternativen!) Aufnahme. Ob das Foto irgendwo im "Weichbild" Senftenbergs entstand, ist nicht
klar. Auch die wesentlich schärferen Varianten der Fotos liefern keine sachdienlichen Hinweise wo sich der - für meine Begriffe: Wäschetrockenplatz, befand.
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Aufnahme <= 1915 Sammlung Matthias Gleisner
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Alternativaufnahme aus der Sammlung der Familie Wendt
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Zumindest können wir sicher sein, daß wir auf dem Foto ein
paar waschechte Senftenberger sehen. Und mit dem kindlichen Günther
Wendt, der zu diesem Zeitpunkt höchstens 7 Jahre alt war, kriegen
wir sogar noch die Kurve zu "berühmten" Kindern unserer Stadt.
Maler, Hobbyarchäologe und Museumsleiter sind Schlagworte, die
der Senftenberg-Interessierte mit seiner Person in Verbindung bringt.
Letzteres schafft wiederum eine Verbindung zur oben genannten Familie
Lehmann. Speziell mit Rudolf Lehmann jun. hatte Günther Wendt in seiner Eigenschaft
als Leiter des Senftenberger Museums zu tun. Eine nicht ungetrübte Liaison...
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