03.07.2022

Die Partie am Hauptgraben. Wer kennt sie nicht?

Aber mal im Ernst. Die Ansicht ist nicht völlig unbekannt. Sie fand Verwendung in zwei Büchern: Isolde Rösler (1992) und Norbert Jurk (2017). Dabei jeweils in unterschiedlichem Maße beschnitten und für meine Begriffe immer von einer abfotografierten Ansichtskarte abgenommen. Der dabei verlustig gegangene Anteil ist, wie man sehen kann, nicht der Rede wert denn er besteht nur aus "Fläche" um das Foto irgendwie auf das damals übliche 9 x 13 cm - Format zu trimmen. Heute also erstmals als direkte Reproduktion einer historischen Ansichtskarte.

Vermutlich wird vielen die Verortung der Szenerie schwer fallen, denn mit innerstädtischen Wasserläufen haben wir es ja heutzutage nicht mehr so. Vom ehemaligen Hauptgraben zeugt im Jahre 2022 nichts mehr. Die letzten Reste seines trockengefallenen Bettes sind längst zugeschüttet worden. Entweder überbaut durch ein Kombination aus Parkplatz und Fußweg oder durch Bepflanzung verschönert.

Okay. "Ich kaufe eine A und möchte lösen!" Annastraße ist das Stichwort. Seit vielen Jahren als "Reyersbach-Straße" bekannt. Wir wissen natürlich alle, daß mit Reyersbach kein, und schon gar nicht das abgebildete, Fließgewässer gemeint ist. Aber das ist eine völlig andere Geschichte.

Von der auf dem Foto erkennbaren Infrastruktur ist in dieser Form nur noch das Haus im Hintergrund erhalten. Der rechts angeschnittene Teil der Caplick'schen Werkstatt ist schon lange einem privaten Parkplatz gewichen.

Senftenberg
Postkartenverlag Otto Lieske,
Papierhandlung, Senftenberg N.-L.
Erram 1815
Echte Hochglanz Photographie
Aufnahme <= 1940
Sammlung Matthias Gleisner
Im Hintergrund links erkennbar, führte damals eine kleine Brücke über den Graben und hinein in die Paulinenstraße. An deren Ende (oder Anfang, wenn man es aus der Gegenrichtung betrachtet) befindet sich das rechts abgebildete Haus. Die meisten Senftenberger werden es aufgrund des signifikanten Erkers wiedererkennen. Die Tage dieses Erkers sind aktuell jedoch gezählt. Die Holzkonstruktion ist mittlerweise so marode, daß ein Erhalt dieses Kleinods nicht mehr möglich ist. Derzeit sind die Bauarbeiter an dem Haus zugange und dabei wird auch Hand an den Erker gelegt, der einer Neukonstruktion weichen wird.
Leider ist das Privatfoto an mehreren Stellen überbelichtet, so daß uns Teile des Hauses und des davor befindlichen Baumes vorenthalten werden. Aber ich denke, wenn man sich in Senftenberg ein wenig auskennt, dann hat man ein Bild vor Augen.

Die Datierung der Aufnahme gestaltete sich schwierig. Das Foto selbst enthält keinerlei Zeitangabe. Meine gefühlte Taxierung auf 1920 ± 2 wurde gleich zu Beginn durch eine Information torpediert, die ich von den Eigentümern des Hauses bzgl. dessen Baujahr erhielt. Demnach soll das Haus erst 1926 errichtet worden sein.

Senftenberg
Aufnahme <= 1930
Sammlung Angelika Jurack-Wendt
Hmmmmm. Schwierig! Baute man 1926 tatsächlich noch in diesem Stil?
Zur Wahrheitsfindung flöhte ich sämtliche verfügbaren Einwohnerbücher Senftenbergs durch. Und trotz eines Druckfehlers in der Ausgabe von 1914 konnte ich ermitteln, daß die Hausnummer 3 zu diesem Zeitpunkt schon existierte. Eigentümerin: eine gewisse Witwe Emma Babick. Die fortfolgend an dieser Adresse aufgeführte Bewohnerschaft weist eine gewisse Konsistenz auf, so daß ich davon ausgehe, daß wir gedanklich immer das gleiche Haus vor uns haben.

... hierauf erkennt man rechts im Hintergrund einen Teil des 1927 gebauten Hauses. Und noch etwas sehen wir: die beiden Jungen im Vordergund der Personengruppe sind Konrad und Rudi Lehmann, die Söhne der damaligen Hauseigentümer. Und ich müsste mich schwer täuschen, wenn wir die beiden nebst Fahrrad und Mutter Elsa nicht auch auf der Fotopostkarte oben sehen. Allesamt nur etwas jünger. Aufgrund der Tatsache daß Rudi Lehmann im August 1927 geboren wurde, wird nunmehr offensichtlich, daß ich mich mit meiner ersten spontanen Datierung der Aufnahme schwer vertan hatte.
Während ich der Überzeugung bin, daß das abgebildete Haus in der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts erbaut wurde, und nicht 1926, kann das Foto nicht viel früher als 1930 gemacht worden sein.

Zu allem Überfluß kommt dann auch noch ein Stadtplan von 1910 ins Spiel, der ein Gebäude auf dem Grundstück der Nummer 3 zeigt, welches von den Umrissen mit dem Haus auf dem Foto (und der Realität) übereinstimmt. Das würde bedeuten, daß das Haus wesentlich älter ist, als die heutigen Besitzer vermuten.
Die baulichen Unterlagen, auf die selbige sich stützen, stammen allesamt aus den Jahren 1927 ff. und lassen wenig Rückschlüsse zu, was das Baujahr des Haupthauses angeht. Demnach erfolgte frühestens 1927 die Errichtung eines zweiten, wesentlich kleineren und einfacheren Nebenhauses (2 Zimmer, Flur und Küche auf gut 50m²).
Ich kann mich persönlich dunkel an dieses Gebäude erinnern, das bis vor einigen Jahren noch dort stand.
Eine kleine Ahnung davon vermittelt uns eine Gruppenaufnahme aus dem Garten des Grundstückes...