13.02.2022
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Es ist einige Wochen her, da ließ ich mich in Retrospektive einer Veranstraltung des Senftenberger Heimatvereins über die Senftenberger
Bäckerzunft aus. Dabei ging es vorrangig darum, wie zahlreich diese doch in der Vergangenheit vertreten waren und wieviel davon noch
übrig ist. Bezogen auf "echte" Bäcker, die ihr Handwerk noch hier vor Ort ausüben und nicht industriell aufgestellt sind und ihre
Waren über ein Filialnetz an den Endverbraucher bringen.
Aber darauf möchte ich heute gar nicht weiter eingehen, sondern mich einem anderen Handwerk widmen, welches in der Vergangenheit sehr gut in
Senftenberg vertreten war und auch heutzutage überaus zahlreich in Erscheinung tritt: der Friseur (m/w/d).
Der obige Blick in das Einwohnerbuch des Kreises Calau von 1937 listet für Senftenberg insgesamt 23! Friseurgeschäfte. Im Vergleich
zur Jetztzeit gibt es zwei wesentliche Unterschiede: 1. Die Geschäftsinhaber waren in der übergroßen Mehrheit männlichen Geschlechts und
2. man firmierte unter dem eigenen Namen!
Gerade letzteres scheint ja immer mehr aus der Mode zu kommen. Stattdessen versuchen sich die Inhaber mit den verrücktesten Namenskreationen
von der Konkurrenz abheben zu wollen. Man findet im Internet bereits spezielle Seiten, auf denen die abgefahrensten und tatsächlich verwendeten Namen
gesammelt werden. Ein paar Kostproben gefällig? Extraordinhair, Chaarisma, Well-Kamm, SaHaara, Hair-Cooles,
Uschi's Kamm together, Hin und hair usw. usf. Bei manchen Schöpfungen muß man schon ein wenig "um die Ecke denken" aber vielfach
frage ich mich, was die Leute für bewußtseinserweiternden Stimulanzien eingenommen habe, um auf so etwas zu kommen. Senftenberg ist hinsichtlich
verrückter Namen jetzt nicht so ganz weit vorn aber das könnte sich bald ändern...
Ich habe nämlich gelesen, daß vor kurzem im Ortsteil Brieske ein Friseurladen unter dem Namen "Pony & Clyde" ins Rennen gegangen ist.
Ernsthaft jetzt? Wo sind sie hin die Zeiten, in denen man sich im "Blauen Salon" oder in der "Pappschachtel" in der Wilhelm-Pieck-Straße die Haare
frisieren ließ? Stattdessen: "Ich lass mir von Pony und Clyde den Scheitel nachziehen." ... Fragende Blicke der Umgebung sind sicher!.
Naja, mir kann es auch egal sein. Den Zorn des Friseurpersonals, über das ich mich lustig mache, muss ich nicht befürchten, denn seit mehr als 20
Jahren drehe ich mir die Murmel eigenhändig ab. Selbst ist der Mann!
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Zu zwei der im obigen Faksimile auftauchenden Namen kann ich heute bildliche Unterstützung liefern...
Zum ersten wäre das Hermann Richter, dessen Geschäft in der Kreuzstraße 5 wir nebenstehend
sehen. Inklusive Prinzipal (ich gehe davon aus, daß es der Herr in der Mitte ist) und einer ganzen
Schar an Angestellten.
Die nur annähernd zu datierende Aufnahme (ich vermute Ende der 1920er) ist einer der berüchtigten
Weißgärber-Abzüge. Ich habe mir erlaubt, das Ganze etwas in Sepia zu tauchen, da das Foto damit
anmutiger wirkt als die sehr Mittelton-arme Produktion aus den 2000ern.
Hermann Richter war relativ lange im Geschäft, was übrigens für viele Friseure der damaligen Zeit
zuzutreffen scheint. Anfang 1918 gab er im Senftenberger Anzeiger bekannt, daß er den Laden
von Otto Karrass an genau dieser Adresse übernommen hat. Gleichzeitig blieb er seinem Stammgeschäft in
der Kreuzstraße 34, daß er mindestens seit 1914 betrieb, noch eine Zeitlang treu. Irgendwann nach 1918
beschränkte er sich dann auf den Laden in der Nummer 5, den wir hier visuell dargeboten bekommen.
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Aufnahme <= 19?? Sammlung Ursula Graßhoff
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Auch die zweite Aufnahme ist zeitlich nicht ordentlich einzutakten. Irgendwann Ende 1930er/Anfang 1940er
würde ich sagen. Den größten Teil des Jahres 1940 können wir dabei aussparen, denn da war der Inhaber
Otto Sprieß trotz seines nicht mehr ganz so jugendlichen Alters an die Kriegsfront beordert worden. Im
November 1940 informierte er die Kundschaft über seine Rückkehr...
Senftenberger Anzeiger (30. November 1940)
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Aufnahme <= 1944 Sammlung Thomas Stypa
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Auf dem relativ kleinformatigen Privatfoto sehen wir Friseurmeister Otto Sprieß gemeinsam mit seiner Frau Marie und
einem Angestellten in der Tür seines Ladens in der Senftenberger Schloßstraße 18. Hier, im Hause des Schneidermeisters
Schmidtchen, startete er spätestens 1921 sein Unternehmen. Ich konnte trotz intensiver Suche kein Eröffnungsinserat in
der damaligen Lokalpresse finden. Die Ersterwähnung des Namens Sprieß im Zusammenhang mit der Schloßstraße 18 lässt sich
mit folgender Annonce auf Oktober 1921 fixieren. Diese zeigt, womit sich Friseure auch so rumschlagen mussten...
Der Adresse blieb der Friseurmeister über viele Jahre treu. Sprieß, dessen Frau kurz nach Kriegsende verstarb, führte
das Geschäft noch bis in die 1950er Jahre. Er erkrankte an TBC, die er in der hierzulande bekannten Lungenheilstätte
auf der Höhe 304 auskurierte. Danach führte er das Friseurhandwerk in reduziertem Umfang in einem kleinen Reihenhaus in
Buchwalde weiter. In seiner Wohnung bot er Herrenschnitte an. Als in Dresden eine Witwe Ausschau nach einem Friseurmeister
hielt, verlegte Otto seinen Lebensmittelpunkt in die Elbestadt. Dort heiratete er besagte Witwe ca. 1955/56. Und dort starb
er auch.
Um den Bogen zu schließen, am Ende noch eine Zeichnung, die mich vor mehr als 4 Jahren aus den USA erreichte. Oder vielmehr ein
Foto von einem an der Wand befindlichen Bilderrahmen mit dieser Zeichnung. Die Wand befindet sich in Seattle und gehört der
Enkelin des Bäckers Gustav Heinze, der, wie wir sehen können, sein Geschäft direkt neben dem des Frisörs Max Zeppan
hatte. Die Zeichnung stellt das Haus in der Calauer Straße 33 nach 1937 dar. Erst im Einwohnerbuch von 1941 findet man beide
Geschäftsleute unter dieser Adresse. Das Gebäude selbst existiert seit einigen Jahren nicht mehr.
Danke an Sue Wilke, Seattle, Washington, USA für den Schnappschuß, der von mir nachbearbeitet wurde.
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