Nachdem ich in der vorigen Woche gewehklagt habe, daß es nur noch einen einzigen "richtigen" Bäcker in Senftenberg gibt, kommen wir heute zu einem
Berufszweig, der im Gegensatz über die Jahre personell relativ stabil ausgestattet war und seit der Wende einen wahren Boom erlebt:
Die Rechtsanwälte!
Ich möchte da aber gar nicht so tief einsteigen. Jedenfalls bekommt man anhand der vorhandenen Adreßbücher bis Anfang der 1940er ein ganz gutes Gefühl für die
Zahl der Rechtsanwälte (damals noch häufig in Personalunion mit einem Notar), die sich in Senftenberg niedergelassen hatten.
Waren es 1897 nur zwei (Paul Quaßnigk und Otto Ferber) verdoppelte sich die Zahl in 1914 (Paul Quaßnigk, Otto Nehring, Dr. Herrmann Fritze und Berthold Schulz).
Diese Namen tauchen auch 1922 noch auf, hier jedoch schon teilweise in Sozietäten, womit die Rechtsanwälte Dr. Max Henning und Ernst Büge erstmals ins Spiel
kommen. Drei Jahre später, 1925, sind bis auf Ernst Büge noch sämtliche Vertreter der Zunft dabei.
1927 fallen Quaßnigk, Nehring und Schulze raus, dafür tauchen erstmals Dr. Rudolf Reyersbach und Otto Haeseler auf.
1929: Dr. Max Henning, Dr. Herrmann Fritze, Otto Haeseler, Dr. Rudolf Reyersbach und neu: Dr. Hans Schmidt.
1934 markiert einen großen Zuwachs. Neu hinzugekommen sind: Dr. Paul Mitscher, Rüter, Dr. Semmler, Dr. Neumann, Dr. Kurt Goldmann, Max Müller, Dr. Piatscheck,
Dr. Salzmann, Dr. Schnemann-Lachner, Georg Vogel. Einige der neuen Namen waren offenbar nicht in Senftenberg wohnhaft, sondern arbeiteten in bestehenden
Kanzleien mit.
Dr. Paul Mitscher, Dr. Rudolf Reyersbach, Dr. Kurt Goldmann, Max Müller, Dr. Piatscheck, Dr. Salzmann, Dr. Julius Samulon, Georg Vogel und Dr. Hans Schmidt
sind für das Jahr 1937 gelistet.
Jeder, der sich nur ein wenig mit Senftenberger Geschichte auseinandergesetzt hat, weiß was in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 hier passierte...
der jüdische Rechtsanwalt Dr. Rudolf Reyersbach, der bereits seit einigen Jahren Anfeindungen und Angriffen ausgesetzt war, wurde im Zuge der sogenannten
"Reichsprogromnacht" von Senftenbergern (die Namen der Verbrecher sind teilweise überliefert) von seiner Wohnung auf den Marktplatz geschleift und hier dermaßen
misshandelt, dass er an den Folgen noch in derselben Nacht verstarb.
Deshalb dürften wir eigentlich seinen Namen auch nicht mehr im Adreßbuch von 1941 finden. Tun wir aber! Gemeinsam mit Mitscher, Goldmann, Müller, Piatscheck,
Salzmann, Samulon, Vogel und Schmidt. Also kann man diesen offiziellen Zusammenstellungen nicht unbedingt in allen Punkten trauen.
Nach dem Krieg gestaltete sich das Angebot an Rechtsanwälten in Senftenberg sehr übersichtlich. Es tauchten nur noch die Namen Dr. Schlaegel, Dr. Mitscher
und Georg Vogel auf. Letzterer verließ im April 1953 Senftenberg in Richtung Westen.
Unter DDR-Bedingungen war der Beruf des Rechtsanwaltes ohnehin weitestgehend überflüssig. Alles gute und ehrliche Menschen hier, keine Verbrechen, Verteidigung
von Angeklagten nicht notwendig. Anwaltschaft und Gerichte waren so gut wie gleichgeschalten. Um die kleineren Streitigeiten kümmerten sich sogenannte "Schiedsgerichte",
die in aller Regel aus Laien mit dem richtigen Klassenstandpunkt zusammengesetzt waren.
Das änderte sich nach der politischen Wende schlagartig und wenn man sich mal eine Woche lang die Lausitzer Rundschau vornimmt, kann man erahnen, daß es auch
keinen Mangel an Betätigung für die Damen und Herren gibt...
Rechtsanwalts- und Notarangelegenheiten sind seit jeher mit einer Menge Schreibkram verbunden und die Korrespondenz erfolgte dazumal auch über offene Postkarten wie den unten
abgebildeten. Offenbar hatte man damals keinerlei Bedenken hinsichtlich Datenschutz und ein gänzlich anderes Verständnis von Persönlichkeitsrechten als heutzutage.
Eine derartige Kommunikation wäre heute zu recht undenkbar!
Aufnahme <= 1914 Sammlung Matthias Gleisner
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Aufnahme <= 1928 Sammlung Matthias Gleisner
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Aufnahme <= 1944 Sammlung Matthias Gleisner
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Sollte jemand im Besitz ähnlicher Stücke aus Senftenberg sein ("Rechtsangelegenheiten" werden ja ganz gerne im Familienbesitz aufgehoben, da zum Beispiel mit Grundstücksgeschäften
verbunden) wäre ich sehr daran interessiert.
Die Postkarten bieten jetzt nicht gerade großartige Anknüpfungspunkte weshalb ich auf ein Detail des rechten Stückes hinweisen möchte, mit dessen Hilfe ich ein bisschen
Regional- und auch Postgeschichte vermitteln kann. Man erkennt dort nämlich auf der Seite für die Anschrift einen etwas größeren Kreis. Wozu war dieser gedacht? Ein Blick auf die
linke Seite, wo ein ebensolcher Kreis zu sehen ist, führt zur Lösung des Rätsels. Denn dort steht eine 2 im Kreis. Richtig! Wir haben es hier also mit einer ersten Form von
so etwas wie einer Postleitzahl zu tun. Noch weit weg von der jetzigen 01968 und auch der vielen noch geläufigen Senftenberger DDR-Postleitzahl 784 bzw. 7840.
Ich hatte im Laufe der letzten Jahre so einige Hundert historische Ansichtskarten in den Fingern und dabei sind mir so manche Varianten der Adressgestaltung untergekommen. Bei
vielen kann man rückblickend nur den Hut vor den Postbeamten ziehen und man fragt sich wie das gut 50 Jahre lang klappen konnte, daß trotz minimalster Angaben (manchmal nur Name der
Person und ein Ort, keine Straße, keine Hausnummer) die Post in der absoluten Mehrzahl der Fälle den Adressaten erreichte. Denn solange dauerte es, bis in Deutschland die ersten
Postleitzahlen eingeführt wurden. 1941 führte man hier grobe Leitzahlen (maximal zweistellig) zunächst für den Päckchen- und Paketverkehr ein. Erst Anfang 1944 galten die Postleitzahlen
auch im normalen Briefverkehr. Und...
Senftenberger Anzeiger (14. Januar 1944)
In meiner Wahrnehmung setze sich das Verfahren zu diesem Zeitpunkt nicht so wirklich durch. Das kann aber auch daran liegen, daß mir tatsächlich nicht allzu viele
Postkarten vorliegen, die 1944/45 postalisch gelaufen sind. Diese Postleitzahlen galten übrigens auch nach dem Krieg weiter. Natürlich minus der "verlorenen" Gebiete im Osten und
später mit geringfügigen Änderungen und Unterteilungen. Die Akzeptanz in der Bevölkerung war gelinde gesagt mäßig. Die Post kam trotzdem an. Offenbar war noch genügend Postpersonal
der "alten Schule" im Dienst, die es auch ohne den Zahlencode vermochten, die Sendung an den Mann oder die Frau zu bringen.
In der DDR dauerte es bis zum Anfang der 1960er Jahre, bis die dann drei- bzw. vierstelligen Postleitzahlen Einzug hielten. Die Resonanz bei den Briefe- und Kartenschreibern war indes anfangs
nicht sonderlich hoch, weshalb sich die Lausitzer Rundschau im August 1965 bemüßigt fühlte, nochmals eindringlich auf die korrekte Einhaltung der Regularien zu dringen...
Lausitzer Rundschau (August 1965)
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