Ende September fand im Senftenberger "Parkhotel" ein sogenannter "Alltagsstammtisch" statt, der vom Verein für Heimatpflege 1909 e.V. initiiert
und durchgeführt wurde. Corona-bedingt war es nach meiner Erinnerung die einzige öffentliche Veranstaltung dieser Art, bei der sich geschichtsinteressierte
(Ex-) Senftenberger zu einem bestimmten Thema austauschen können.
Ich besuche ganz gerne diese Treffen, da man dort vielleicht das Eine oder Andere erfahren kann, das man noch nicht wusste oder man trifft
alte oder neue Gesichter, mit denen man zu anderen Themen plauschen kann. Besonders ziehen mich Veranstaltungen an, die mit unglaublich klingenden Aussagen
beworben werden. Wie in diesem Falle mit "Ende der 50er Jahre gab es fast 30 Bäckereien in Senftenberg". Angesichts der Tatsache, daß es im Jahre 2021
lediglich noch eine Bäckerei in Senftenberg gibt, die das Handwerk "klassisch" betreibt, klingt das für sich natürlich schon einmal ziemlich "reißerisch".
Ja ich weiß, auch Raddatz, Sternenbäck, Bubner, Dreißig und wie die Ketten alle heißen, nehmen für sich in Anspruch, Bäcker zu sein. Für mich sind das
aber alles "Aufwärmbäcker", weshalb ich auch ganz froh bin, daß besagte einzige verbliebene Bäckerei, die Bäckerei Richter, in kurzer Schlagdistanz zu meinem
Heim liegt und somit hoffentlich noch lange "echte" Brötchen für mein wochenendliches Frühstück gesichert sind.
Also fast 30 Bäcker ausgangs der 1950er Jahre... Kann das stimmen? Da ich erst 10 Jahre später auf die Welt kam, kann ich da nicht so wirklich mitreden
aber ich habe mir mittlerweile einen ganz guten Überblick über die hiesige Geschäftswelt verschafft, daß ich zumindest leise Zweifel an dieser Aussage hatte.
Die Veranstaltung, die am 30. September über die Bühne ging, war gut besucht. Und wie das bei so Stammtischen ist... es wurde viel durcheinander gesprochen und
nahezu jeder wollte etwas zu "seinem" Bäcker loswerden. Für meinen Geschmack fehlten der Veranstaltung ein wenig visuelle Eindrücke. Dabei ist doch
gerade das Senftenberg Bäckerhandwerk vergleichsweise gut auf alten Fotos und Ansichtskarten dokumentiert worden. Aber bevor man mich fragt, hackt man
sich scheinbar eher einen Arm ab...
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Egal! Viel wichtiger ist doch: wurde die Aussage mit den 30 Bäckern Ende der 1950er bestätigt?
Ich bin mir da nicht so sicher, da es zum Ende hin etwas unübersichtlich wurde und teilweise
auch Bäcker einflossen, die nicht dem Senftenberger Kerngebiet zuzuordnen sind. Beispielsweise
diese Bäckerei hier...
Experten haben es natürlich erkannt... es handelt sich um die Produktionsräume der Bäckerei
am Markt in Grube Marga. Das Foto ist in schlechterer Qualität bereits vor knapp 20 Jahren
einmal veröffentlicht worden. Nun also auch hier, vom Original abgenommen und digital restauriert.
Die Aufnahme, die Bäckermeister Godo und seine Angestellten zeigt, stammt vermutlich aus 1912/13.
Eine ähnliche Aufnahme findet man in der Chronik "Ilse Bergbau-Actiengesellschaft 1888 - 1913". Ich gehe
fest davon aus, dass beide Fotos bei derselben Gelegenheit geschossen wurden.
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Aufnahme <= 1913 Sammlung Kathrin-Janette Bleisch
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Während also Godo bzw. Nousch bei dem Stammtisch Erwähnung fanden, bin ich nicht mehr im Bilde
ob die nebenstehende Bäckerei genannt wurde... Auch sie hätte aber nicht zum Senftenberger Kerngebiet
gehört und deshalb außerhalb der Konkurrenz (also besagten 30) laufen müssen. Wer jetzt gerade gedanklich
auf dem Schlauch steht, dem hilft ggf. nachfolgendes Inserat aus dem Senftenberger Anzeiger:
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Aus der Annonce wir ersichtlich wo wir uns
befinden und auch meine zeitliche Einordnung wird
in gewisser Weise untermauert. Es scheint so, als
ob der Geschäftsbetrieb bereits aufgenommen wurde,
was ein Aufnahmedatum nach dem Januar 1939 am
wahrscheinlichsten erscheinen lässt.
Rechts und links der kleinen Bäckerei fehlt weitere
Bebauung, was nahelegt, dass das Haus eines der
ersten war, welches in direkter Nachbarschaft zur
bereits bestehenden "Frontkämpfersiedlung" errichtet
wurde. Die ersten 12 Häuser besagter Siedlung
wurden im September 1935 gerichtet.
Der Name Schroschk trat in Verbindung mit Backwaren
noch anderweitig in Erscheinung. Herberts Vater
Reinhold führte ab ca. 1908 in Brieske-Dorf eine
Kolonialwarenhandlung mit angeschlossener Bäckerei.
Das Geschäft wurde später vom zweiten Sohn Alfred
Schroschk weitergeführt.
Und genau solche Detailfragen halte ich für nicht
ganz unwichtig bei der Frage, ob das mit den 30
Bäckereien, die (so muss man das interpretieren)
gleichzeitig in Senftenberg im Geschäft
waren, stimmen kann.
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Ich hätte mir gewünscht, daß eine Nachbereitung dieses Alltagsstammtisches stattgefunden
hätte. Vielleicht hat es das auch, nur mir und sicher vielen anderen sind keine Ergebnisse bekannt
gemacht worden...
Wie hätte das aussehen können? Für die beiden
heute bildlich vorgestellten Bäckereien etwa so:
Grube Marga/Brieske, Markt
Ewald Godo → Fritz Nousch → Manfred Nousch → Lothar Haiasch → Leane Lösche
Grube Marga/Brieske, Schlageterstraße/Phillip-Müller-Straße
Herbert Schroschk → Helmut Keutel
Auf diese Weise ließen sich die Abfolgen (es gab ja in den
seltensten Fällen neu aus dem Boden gestampfte Backstuben) der Meister
für sämtliche Senftenberger Bäckereien darstellen, womit der
Flut von Namen, die in diesem Zusammenhang auftauchen eine gewisse
Ordnung verliehen würde und man letztlich definitiv sagen kann,
wieviele Brot- und Backwarenproduzenten dereinst tatsächlich in
Senftenberg tätig waren.
Es müsste einfach nur mal jemand tun!
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Aufnahme <= 1939 Sammlung Gerd Petsch
Wo wohl diese Kinder Brot einholen gingen?
Am Markt bei Nousch oder doch
lieber bei Schroschk in der Schlageterstraße?
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