Machen wir uns nichts vor! Meine Form der Heimatforschung, wie ich sie seit gut 10 Jahren betreibe, ist extrem visuell getrieben. Im Grunde steht
immer ein Originalfoto oder eine originale Ansichtskarte im Mittelpunkt. Zuweilen auch ein historisches Filmdokument. Um dieses Ausgangsmaterial herum versuche ich dann
eine/die Geschichte zu entwickeln um den Leser irgendwie bei der Stange zu halten. Dies fällt zunehmend schwerer, da mir erstens langsam das Material ausgeht und zweitens
bei der 127. Marktansicht dann auch mal alles dazu gesagt ist. Dies bedeutet aber nicht, daß ich einer interessanten Geschichte aus dem Weg gehe, nur weil es keine adäquate
visuelle Basis dazu gibt. Weit gefehlt! Meine Ausarbeitung zur Person Harun-el-Raschid Bey, die mittlerweile vergleichsweise
"epische" Ausmaße angenommen hat, brachte mich auf den Geschmack auch abseits von hochwertigem Bildmaterial (das ich dort jedoch habe), bemerkenswerten Geschichten
von Senftenbergern nachzugehen, die bisher nur die allerwenigsten kennen dürften. Wie zum Beispiel der folgenden:
Denn...
Wir schreiben Anfang 1936 und plötzlich ist unser kleines Senftenberg in aller
Munde. Viele deutschsprachige Zeitungen und Zeitschriften berichten über einen
damals 14-jährigen Einwohner unserer Stadt. Natürlich auch unser Lokalblatt
Ende Januar:
Der Senftenberger Anzeiger schrieb in seinem Artikel sowohl über
die um sich greifende Beachtung des Schülers Erich Fiebiger wie auch
über den Grund der ganzen Aufregung. Letzteres sogar relativ ausführlich,
während die überregionale Presse es zumeist bei Erwähnungen der folgenden
Art bewenden ließ:
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Senftenberger Anzeiger
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"Der Bergfried" - Illustrierte Familienzeitschrift mit Versicherung - Heft 14 / Jg. 1936
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Die umfangreichste Darstellung konnte ich bislang in der Illustrierten Deutschen Schülerzeitung "Hilf mit!"
entdecken. Es scheint, daß der Verfasser derselben tatsächlich hier vor Ort in Senftenberg war. Heutzutage
würde man dazu wohl "Homestory" sagen:
"Hilf mit!" - Illustrierte deutsche Schülerzeitung - Nr. 7 April 1936
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Ich fasse einmal kurz zusammen, wie bis hierher der Sachstand ist:
Erich Franz Fiebiger, geboren am 3. November 1921 in Ebersdorf (oder Wiese?), Bezirk Friedland, Sudetenland (heute: Habartice bzw. Ves, Tschechien)
siedelte mit seiner Familie spätestens 1933 nach Senftenberg um. Das Einwohnerbuch von 1934 listet Familie Fiebiger an der Adresse Am Salzgraben.
Die Passage hinsichtlich Erichs erster Heldentat, der Rettung der Kunnersdorfer Schülerin Mauermann aus der Wittig, die in der Illustrierten "Hilf mit!" zu lesen
ist, lässt sich unterschiedlich interpretieren: Entweder lebte die Familie zu dieser Zeit noch in Böhmen oder Erich war in jenem August bei Verwandten
zu Besuch so wie es der "Senftenberger Anzeiger" in seiner Version der Geschichte beschreibt. Erschwerend kommt hinzu, daß später von August 1934 die
Rede sein wird. Nicht die einzige Ungereimtheit, bzw. der einzige Fehler in der gesamten Berichterstattung!
Im Spätsommer 1934, nun schon Senftenberger, rettete Erich Fiebiger den Schüler Gerhard Risch aus der Elster. Februar 1935: der 11-jährige Werner Krüger
wird von Fiebiger aus einem Wassergraben geborgen, in den er bei einer Mutprobe gefallen war. Im Sommer desselben Jahres ist Erich wieder zur Stelle und
bewahrt in der Senftenberger Flußbadeanstalt ein kleines Mädchen vor dem Ertrinken.
Ende Dezember 1935 tobt Erich mit fünf weiteren Kindern auf der zugefrorerenen Elster. Das Eis bricht und der mutige Junge rettet 3 seiner Kameraden,
Heinz Kühn, Engelbert Frommholz und Willi Schubert, aus dem eiskalten Wasser.
Die Rettungstaten blieben nicht unbemerkt und nachdem Anfang 1936 ganz Deutschland davon in Kenntnis gesetzt worden war, reagierten auch die amtlichen Stellen:
Senftenberger Anzeiger (7. April 1936)
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Erich Fiebiger, das war in der bisherigen Berichterstattung ja nicht zu
überlesen, war Mitglied der Hitlerjugend. Und dies aller Wahrscheinlichkeit nach
ziemlich engagiert. Seinen Tatendrang, den er bei seinen Rettungsaktionen unter
Beweis stellte, brachte er als Teil des "Jungvolks" offenbar auch in den Dienst
der "nationalsozialistischen Sache" ein.
Im Sommer des Jahres 1936 befand sich Erich zu einem vierwöchigen Aufenthalt
im Erholungsheim "Friesenhain" in Westerland auf Sylt. Eine Auszeichnung, die
sicher nicht jeder "Pimpf" erhielt. Ob er diese bevorzugte Behandlung aufgrund
seiner Rettungsaktionen oder wegen seines hervorragenden Einsatzes in der
nationalsozialistischen Jugendorganisation genoß, bleibt spekulativ.
Im Juni 1936 berichten deutsche Illustrierte:
Stolze Freude herrschte im Hitler-Jugend-Lager "Friesenhain" auf Westerland-Sylt,
als der Führer den jungen Kameraden Erich Fiebiger nach Berlin beorderte, um
ihm für seine Rettungstat zu danken. Wenn er das 18. Lebensjahr erreicht hat,
soll ihm die Rettungmedaille verliehen werden; Er rettete sieben Kindern das
Leben! Der 14jährige Hitlerjunge Erich Fiebiger aus Senftenberg (Niederlausitz)
konnte in seiner Heimat fünf Jungen und zwei Mädel vor dem Tod des Ertrinkens retten.
Seine Kameraden im HJ-Lager "Friesenhain" auf Westerland-Sylt beglückwünschen ihn herzlich.
Hitlerjunge Erich Fiebiger wurde durch den Führer nach seiner Rettungstat im
Flugzeug nach Berlin beordert.
Adolf Hitler schenkte ihm sein Bildnis und eine goldene Uhr.
Über das Treffen Fiebigers mit Adolf Hitler berichtete wiederum die gesamte
deutsche Tagespresse. Allen voran das Lokalblatt...
Senftenberger Anzeiger (27. Juni 1936)
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Auch die Illustrierten, wie hier der "Illustrierte Beobachter", brachten
fotografische Aufnahmen des Ereignisses, formulierten in die Bildunterschriften
aber auch gerne einige Fehler: "Ernst" statt "Erich", "Sorno (Elster)" statt
"Sornoer Elster".
Illustrierter Beobachter (11. Jahrgang / Folge 28 / 9. Juli 1936)
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Die Auszeichnung des Senftenberger Hitlerjungen durch den Führer war offenbar ein solch herausragendes Ereignis, daß fast drei Jahre später nochmals
ein Foto des Treffens verwendet wurde. Und zwar in einem Sonderheft mit dem Titel "Unser Führer", welches anlässlich des 50. Geburtstags Hitlers im April
1939 aufgelegt wurde. Erich Fiebiger, wiederum fälschlicherweise als "Ernst" bezeichnet, direkt unter einem Foto, welches Hitler bei der Übergabe des
Marschallstabes an die Nr.2 im Reich, Hermann Göring, zeigt. Die Überschrift des Kapitels: "Anerkennung der Leistung". Mehr Ehre ging ja fast
gar nicht!
Illustrierter Beobachter (Sondernummer "Unser Führer" - Zum 50. Geburtstag Adolf Hitlers am 20.April 1939)
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Ebenfalls 1939: Am 1. September des Jahres bricht das Deutsche Reich mit dem Überfall auf Polen einen Krieg vom Zaun, der alles bisherige in den Schatten
stellen sollte. Zerstörung und Tod, Leid und Grausamkeit von ungeheurem Ausmaß...
Erich Fiebiger war mittlerweile in die Fußstapfen seines Vaters getreten und hatte den Beruf des Elektroinstallateurs erlernt. Anfang November des Jahres
beging er seinen 18. Geburtstag und wurde (möglicherweise sogar auf eigenen Wunsch) sogleich zum Militär eingezogen. Dabei blieb er dem ihm so vertrauten Element,
dem Wasser, treu und landete als Matrose (Maschinenlaufbahn) bei der Kriegsmarine.
Und nun nimmt die Geschichte eine sehr schnelle und sehr tragische Entwicklung:
Der Junge, der 7 Kinder vor dem Ertrinken rettete, fand gleich auf seiner ersten Fahrt selbst den Tod im Wasser...
Erich Fiebiger starb am 22. Februar 1940 beim Untergang des Zerstörers "Leberecht Maaß". Das Schiff war am Abend des 22. Februar 1940 gemeinsam mit fünf
weiteren Zerstörern im Rahmen des "Unternehmens Wikinger" in Richtung Doggerbank vor der englischen Ostküste unterwegs. Dabei wurde die Flottille in der
Dunkelheit versehentlich von mehreren deutschen He 111 der II. Gruppe des Kampfgeschwaders 26 angegriffen. Die Luftwaffe war über das "Unternehmen Wikinger"
nicht informiert worden, und die Flugzeugbesatzung nahm deshalb an, sie greife einen britischen Zerstörerverband an. Die "Leberecht Maaß" wurde von einer
50-kg-Bombe zwischen Brücke und Schornstein getroffen und scherte nach Steuerbord aus. Wenige Minuten später brach der Zerstörer nach einer weiteren Detonation
auseinander und sank mit 282 Mann. Nur 60 Überlebende wurden gerettet, von denen einer noch auf dem Rückweg starb. Erich Fiebiger war nicht unter den
Überlebenden. Es konnte nie ganz geklärt werden, ob die zweite Detonation ein weiterer Bombentreffer war oder ob der Zerstörer aufgrund der spontanen Kursänderung nach
dem Beschuß auf eine Mine lief, die Teil eines im Januar 1940 gelegten britischen Minenfeldes war.
Senftenberger Anzeiger (18. März 1940)
Im Gegensatz zum Schlußwort des obigen Nachrufes muß man sagen: Doch, du bist umsonst gestorben! Für nichts und wieder nichts wurde deinem jungen
Leben wie dem von Millionen anderen, ob Freund oder Feind, ein viel zu frühes Ende gesetzt.
Das einzige was heute noch an das Schicksal Erich Fiebigers und weiterer 593 Kameraden der "Leberecht Maaß" und dem Schwesterschiff "Max Schultz", das
ebenfalls bei dem Einsatz sank, erinnert, ist ein Gedenkstein im Stadtpark von Wilhelmshaven...
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