Filmausschnitt ("Agenten im Schatten einer Partei", 1957)

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Dieser, ganze 11 Sekunden lange, Filmschnipsel zeigt uns das Empfangsgebäude und den Vorplatz des Senftenberger Bahnhofs. Zweifellos handelt es sich um eine professionelle Produktion, deren genaue Umstände aktuell aber noch etwas im Halbdunkel liegen.
Die Handlung ist schnell erzählt. Man sieht einen Mann in Reichsbahnuniform, wie er schräg den Bahnhofsvorplatz überquert. Schnitt. Der selbe Mann geht auf eine Holzbaracke zu. Vor dieser steht ein Schild beschriftet mit Investitionsbauleitungen der RbD Cottbus. Erkennbar ist, daß beide Szenen separat aufgenommen wurden. In dem Winkel, in dem die Person in der ersten Szene läuft, hätte man nicht den Eingang der Baracke erreicht. Das abgestellte Motorrad, welches man in beiden Szenen sieht, bestätigt dies. Klassischer Anschlußfehler!

Was die Baracke betrifft, handelte es sich nicht um die, die heute in gemauerter Form noch dort steht. Die Platzierung auf dem Gelände war aber ähnlich. Zur besseren Einordnung nebenstehend ein Foto aus dem Jahr 1955, das (auch) den Eingang besagter Baracke zeigt.

1955 ist auch schon einmal eine gute Ausgangslage, wenn es um die Datierung der Aufnahmen geht. Leider lässt sich aus den kurzen filmischen Szenen nicht wirklich gut ein Entstehungsjahr ermitteln. Dafür hat es die Tonspur in sich. So kurz sie auch ist, vermitteln Duktus des Sprechers und Teile des Inhalts einige Anhaltspunkte, was das für ein Film sein könnte und wann dieser entstand.
1. Ich bin mir sicher, daß wir in dem Film NICHT besagten "Agenten" sehen, sondern daß hier etwas nachgestellt wurde.
2. Der "Agent" Martin Bitterlich existierte anscheinend wirklich.
Die Vergehen, denen sich Bitterlich schuldig machte, wurden in dem Stasi-Progagandafilm "Kühler Kopf, Heisses Herz, Saubere Hände" aus dem Jahr 1967 aufgearbeitet. Diesen Streifen kann man sich hier in Gänze zu Gemüte führen.
Der für uns interessante Part beginnt ca. bei Minute 29. Der obige Filmschnipsel stammt nicht aus diesem Film, wobei sich die Bitterlich-Darsteller (ich gehe davon aus, daß es nicht der echte Bitterlich war) schon sehr ähneln. Möglicherweise fand 1967 eine Zweitverwertung von Filmaufnahmen statt.

Familie Jurk beim Ausflug (1955)
Die ganze Angelegenheit um Martin Bitterlich ist etwas undurchsichtig weil es Hinweise auf das Jahr 1957 gibt, in dem er enttarnt worden sein soll. Hier jedoch im Zusammenhang mt dem VEB Flugzeugwerke Dresden. Diese Verbindung kann ich noch nicht hundertprozentig nachvollziehen. Zwar hatte Bitterlich laut "Kühler Kopf, Heisses Herz, Saubere Hände" Beziehungen zur Segelfliegerei und das in der Umgebung von Kamenz, was im selben Film sogar mit Aufnahmen vom Kamenzer Flugplatz (definitiv bei 31:25 im Film) untermalt wird. Was das aber mit Spionagetätigkeit im Dresdner Flugzeugwerk zu tun hatte, ist mir nicht ganz klar. In jedem Fall soll Bitterlich als Agent des Ostbüros der SPD fungiert haben, was in einem Bericht im "Neuen Deutschland" im Juni 1960 (nochmals?) thematisiert wurde.
Leider habe ich keinen Zugriff auf die archivierten Ausgaben des Neuen Deutschlands um weitere Nachforschungen anzustrengen, die den Schluß zulassen, wann Bitterlich nun tatsächlich aufgeflogen ist. Die nachgestellten Aufnahmen können ja eigentlich nur nach dessen Verhaftung angefertigt worden sein. Und dies sicherlich auch nicht unmittelbar.
Das Stichwort "SPD-Ostbüro" führte mich zu zwei weiteren Stasi-Propagandafilmen... "Agenten im Schatten der Partei" (1957) und "Kennziffer 391" (1959). Beide Streifen liegen mir leider nicht vor, um festzustellen, ob, und wenn ja, in welchem der beiden Filme unsere kurze Senftenberg-Sequenz zum Einsatz kam. Während sich der 1957er Film konkret mit der Wirtschafts- und Militärspionage des SPD-Ostbüros beschäftigt, zeigt der 1959er Streifen Abwerbungs- und Spionagemethoden Westberliner Organisationen (also auch des SPD-Ostbüros).
Meiner Meinung nach ist der Film "Kennziffer 391" der heißere Kandidat, da er nach der Enttarnung Bitterlichs produziert wurde. Das würde auch zum Erscheinungsbild des Bahnhofsvorplatzes passen... der Kinoaufsteller ab spätestens 1960 fehlt hier nämlich.

Update (April 2019)
Mittlerweile steht fest, daß der Filmausschnitt aus dem Propagandafilm "Agenten im Schatten einer Partei" stammt. Dieser knapp 15-minütige DEFA-Streifen wurde 1957 gedreht und lief am 22.01.1958 (wahrscheinlich im Kino-Vorprogramm) an. Die Informationen, die ich unlängst auf den Seiten der DEFA-Stiftung fand, lassen daran keinen Zweifel. Eine dort hinterlegte detaillierte Beschreibung der Handlung führt u.a. aus:

0:05:16
Deutsche Demokratische Republik (DDR); Land Brandenburg; Senftenberg; Deutsche Reichsbahn (DR); Reichsbahndirektion (Rbd):
Totale auf Außenansicht Dienstgebäude der Deutschen Reichsbahn (DR);
Martin Bitterlich (Sachbearbeiter in der Investitionsbauleitung des
Reichsbahndirektionsbezirkes (Rbd) Cottbus in Senftenberg) in Eisenbahneruniform
kommt aus dem Gebäude, unterlegt mit Kommentar: „Diese Aufnahmen entstanden bei
einem Lokaltermin mit dem Agenten.“;

Martin Bitterlich geht in das Gebäude mit Schild „Investitionsbauleitungen der Rbd Cottbus“;

Damit ist die Herkunft unserer 11 Sekunden unstrittig belegt. Wer Interesse an vollständigen Angaben zu dem Streifen hat, der wird hier fündig. Obwohl auch dort ständig von Martin Bitterlich die Rede ist, gehe ich weiterhin davon aus, daß nicht der echte Agent zu sehen ist, sondern dieser von einem Schauspieler verkörpert wurde. Anhand der vollständigen Handlungsbeschreibung wird auch klar, daß ich damals richtig lag, als ich Sequenzen im Film "Kühler Kopf, Heisses Herz, Saubere Hände" mit den Senftenberger Szenen in Zusammenhang brachte. Während der vollständige "Agenten im Schatten einer Partei" aktuell nicht verfügbar ist, findet man hier das andere Machwerk und darin verbaut einige Szenen, die auf die textliche Beschreibung passen. Dort also zweitverwertet wurden.